Predigt von Prädikant Peter Schickel am 25.12.2024
Predigttext: Johannes 1,1-5.9-14(16-18)
I
Liebe Gemeinde,
die Geburt eines Kindes ist ein existentielles Ereignis, ein Ereignis das in die Tiefe und in die Höhe geht. Wie eine Achterbahnfahrt - ohne Sicherheitsgurt.
Ich für meinen kleinen Teil war vier Mal dabei - oder doch eigentlich nur dreimal, oder? - wir haben ja Zwillinge. Sozusagen doppelte Freude, gleichzeitig. Sicher ist eine Geburt ein Erlebnis das uns etwas vom Da-Sein zeigen kann.
Vielleicht, liebe Gemeinde kann man dabei auch etwas vom Sein-Selbst spüren. Bestimmt gibt es einige unter Ihnen, die so ein besonderes Ereignis einer Geburt auch schon miterlebt haben: Ob als Mutter natürlich oder Vater, aber auch als Hebamme, Pfleger oder Arzt und Ärztin - bei der Geburt unserer Zwillinge waren zusätzlich acht Mediziner im Saal. So ein Gedränge war das.
Aber, liebe Gemeinde, was für ein Wunder ist doch eine Geburt! Ein Kind wächst zunächst in seiner Mutter. Erst wenn es zur Welt kommt, kann man es ganz sehen: Mit Händen, Füßen, „Naserl“ und sogar schon Fingernägeln. Und es geht weiter: Neugeborene sind richtige Überraschungskünstler. Noch ganz klein und hilflos und doch steckt so viel in ihnen, was man nur erahnen kann. Fast alle, die von einer Geburt erfahren, erleben einen kurzen Moment der Seligkeit. Ich weiß noch wie heute als ich unsere Zwillinge zum Wiegen gebracht habe. Ich bin selbst irgendwie dahin-geschwebt. Es herrschte Freude ringsum. Einfach Freude. Niemand konnte sich dessen erwehren. Auch die Vorübergehenden im Gang der Geburtsabteilung nicht. Selbst die größten Skeptiker, die besorgt sind um die Überbevölkerung der Erde, um die Umwelt und die Knappheit der Lebensmittel. Auch die Kritiker, die sich vielleicht ein Kind in der Familie alles andere als gewünscht haben. Auch die, die großen Schmerz in sich tragen, weil ihnen selbst kein Kind geschenkt wurde. Sie alle freuen sich an so einem Moment. Es steckt so viel Zukunft in einem kleinen Menschenwesen. Soviel Verheißung! Das macht einfach froh, es ist herrlich. Es ist ein Wunder.
II
Wenn Sie das Bildnis auf der Rückseite Ihres Liedblattes betrachten finden Sie vielleicht auch noch Spuren dieses Wunders. „Nicht ein gesichtsloses Neugeborenes schaut mich da an, sondern ein Gesicht mit Vergangenheit. Wissend. Uralt.«, sagte der Photograph dazu in einem Interview. Das klingt für mich ganz erstaunlich. Wenn so ein Kind geboren wird, erwartet man doch eher, dass alle sagen: Oh, wie süß! Wie niedlich! So frisch. Allerliebst. Man erwartet kein Wissen, keine Weisheit. Man erwartet ein unbeschriebenes Blatt. Einen Menschen, der die Welt erst noch entdecken muss. Ein Wesen, dessen Zukunft noch völlig frei ist von Prägung und Planung. Der Photograph, Walter Schels aber entdeckt im Gesicht des Neugeborenen etwas anderes: »Es war immer auch die Weisheit in den Gesichtern, die mich bewegte. Das scheinbare Wissen über die großen Fragen unseres Lebens, woher wir kommen und wohin wir gehen. Am liebsten hätte ich diese kleinen, allwissenden oder alles ahnenden Wesen mit meinen Fragen bedrängt, Antworten von ihnen geholt, ehe sie anfangen, zu vergessen. Denn das Vergessen beginnt, vermute ich, bereits in den ersten Lebensminuten.«
III. Allwissend, allahnend. Gesichter voll tiefer Weisheit. Wir haben‘s gerade in der alttestamentlichen Verheißung gehört: Der HERR hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her.?23 Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war.?
Eine schöne Vorstellung ist das: Dass wir alle am Anfang etwas ahnen von den großen Fragen dieser Welt, dass in unserem Herzen Antworten sind, die wir doch unser Leben lang suchen. Gott im Herzen haben, vom ersten Atemzug an. Angefüllt sein mit dem Wissen um seine Liebe. Ich kann mir vorstellen, dass auch bei der Geburt des Jesuskindes im ärmlichen Stall eine solche Stimmung der Herrlichkeit geherrscht haben muss. In Jesus, dem Krippenkind, war schon alles da, was er für uns ist. Allahnend, voraussehend, welche große Bedeutung sein Leben für diese Welt haben wird. In diesem ersten Blick ist schon alles enthalten, was das Leben Jesu ausmacht. Das Wort Gottes, das Fleisch wurde, eine menschliche Gestalt annahm und unter uns wohnte. In ihm war das Leben.
4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.?
III
In Jesus, dem Krippenkind, kam Gott auf die Welt. In ihm zeigt er seine ganze Liebe zu den Menschen. Es bleibt ein kostbares Geheimnis: Das Wort, das von Anfang an war; der, der so groß ist, dass wir ihn nicht fassen können – in diesem kleinen Kind ist er leibhaftig. Ein Ereignis von Kosmischer Tragweite, größer als das ganze Weltall konkretisiert sich in einem winzigen Kind.
12 Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden: denen, die an seinen Namen glauben,?13 die nicht aus menschlichem Geblüt noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern aus Gott geboren sind.?
Welch ein Geheimnis, dass wir Gottes Kinder sind, liebe Gemeinde. Wir auch.
Jesus Christus ist das Geheimnis Gottes.
3 In ihm liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. (Kol 2,3)
Wie eine Mutter, die sich zu ihrem Kind hinunter kniet, um mit ihm zu sprechen oder zu trösten und in die Arme zu schließen – so kniet sich auch Gott zu uns hin. Er macht sich klein für uns.
Kyrie Eleison. Herr erbarme dich.
Gott macht sich gleich mit uns, seinen Kindern. Er streckt seine Arme nach uns aus. Er erscheint uns in der Menschenliebe, in der Freundlichkeit, in der Barmherzigkeit. Er spricht unsere Sprache, er ruft uns beim Namen, er wird uns zum Vater und zum Bruder. Damit macht er auch aus uns mehr, als man jetzt schon sehen kann: Mit Jesus sind wir Kinder Gottes und Erben seiner Verheißung. Aber denen, die ihn aufnahmen, verlieh er das Recht, Kinder Gottes zu werden. – Das sind alle, die an ihn glauben. – Kinder Gottes wurden sie nicht durch ihre Abstammung. Sie wurden es auch nicht, weil ein Mensch es wollte oder weil sie einen Mann zum Vater haben. Kinder Gottes wurden sie allein dadurch, dass Gott ihnen das wahre Leben schenkte. Und dieses Geschenk ist die Hoffnung selbst.
Gott schenkt uns im Kind in der Krippe eine Hoffnung für unsere Herzen, die so schnell vergessen.
Für unsere Herzen, die so leicht straucheln.
Für unsere Herzen, die so viel fragen.
Diesen Herzen hat er die Hoffnung eingeschrieben, vom ersten Herzschlag an.
IV. Unseren Herzen ist die Hoffnung schon eingeschrieben. Gott hat selbst Liebe in sie hineingelegt. Aus seinem Reichtum hat er uns beschenkt – mit überreicher Gnade. Das ist zu hoch, um es mit dem Verstand zu begreifen. Doch wer sich auf den Weg zur Krippe macht, wird verändert zurückkommen: Bewegt und berührt von der Menschenliebe Gottes. In Seligkeit getaucht von diesem Kind, das zum Retter wird. Von diesem kleinen König, der in aller Armseligkeit doch viel reicher ist als alle Fürsten und Milliardäre dieser Erde. Von der Fleisch gewordenen Liebe Gottes. Von dem großen Geheimnis, das dieses Kind ausstrahlt, dem Geheimnis von Wahrheit und Gnade.
Allwissend. Voll tiefer Weisheit. Angefüllt mit dem Wissen um die Liebe selbst.
»Welch ein Geheimnis ist ein Kind. Gott ist auch ein Kind gewesen. Weil wir Gottes Kinder sind, kam ein Kind, uns zu erlösen. Welch ein Geheimnis ist ein Kind! Wer dies einmal je empfunden, ist den Kindern durch das Jesuskind verbunden.« dichtet Clemens Brentano.
Draußen im Stall wird er geboren, vor den Toren der Städte, wo keine Lichter glänzen. Dort kommt Gottes Licht zu menschlicher Gestalt.
Er ist das Licht, das Licht der Menschen.
Und das Licht scheint in der Finsternis, die Finsternis hat’s nicht ergriffen.
Wir sind Seine Kinder.
An Weihnachten und alle Tage.
Dank sei Dir Gott.
In Ewigkeit.
Für und Für.
Amen.