31.12.2021 - Altjahresabend / Silvester

Gottesdienst mit Abendmahl

um 18 Uhr in der Kath. Pfarrkirche Aufkirchen
(2G-Regel und FFP2-Maskenpflicht!)

mit Pfarrer Johannes Habdank


Nachstehend die Predigt des Gottesdienstes zum Nachlesen.

 


Predigt von Pfarrer Johannes Habdank am Altjahresabend 2021


Begrüßung:
Meine Zeit steht in deinen Händen. Mit dem Spruch des Tages aus Psalm 31, Vers 16, grüße ich Sie und Euch alle zum Gottesdienst mit Abendmahl am Altjahrsabend 2021 (Silvester). - Ein Jahresendfest haben schon die Alten Römer gefeiert, erstmals im Januar zu Beginn des Jahres 153 v. Chr., als der Jahresbeginn vom 1. März auf den 1. Januar verschoben wurde. Die Assoziation des Jahresendes mit dem Namen Silvester (dt. ‚Waldmensch‘, von lateinisch silva ‚Wald‘) geht auf das Jahr 1582 zurück, als die Gregorianische Kalenderreform den letzten Tag des Jahres vom 24. Dezember auf den 31. Dezember verlegte, den Todestag des Papstes Silvester I. († 335). Der Liturgische Kalender führt den Tag bereits seit 813 auch als dessen Namenstag. In verschiedenen deutschsprachigen Gebieten, auch bei uns in der Kirche führt dieser letzte Tag den Namen „Altjahrsabend“, was die Sache sehr gut trifft. Das zuende gehende Jahr wird zum alten Jahr, Altjahr, und dann beginnt mit dem nächsten Tag das Neujahr. An dieser Schwelle vom Alten zum Neuen feiern wir nun Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Worte des Beters von Psalm 121, dem Tagespsalm:
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht.
Der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts.
Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele.
Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang
von nun an bis in Ewigkeit! Amen.

Evangeliumslesung (zugleich Predigttext): Matthäus 13, 24-30:
Vom Unkraut unter dem Weizen

Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du also, dass wir hingehen und es ausjäten? Er sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune.

Predigt:
Liebe Gemeinde,
wie es bei Ihnen ist, weiß ich nicht, aber ich habe einige Leute aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, auch in der Gemeinde gefragt, wie ihr Jahr 2021 insgesamt so war, da kam mehrfach die Antwort: naja, so durchwachsen halt, und das nicht nur pandemiebedingt.

„Durchwachsen“, das kann vieles bedeuten: so lala, mittelmäßig, ziemlich bescheiden, durchschnittlich, halbwegs in Ordnung. „Halbscharig“ (altbairisch, nicht recht übersetzbar: dubios, sehr zweifelhaft) wäre zu negativ, besser: zufriedenstellend = Note 3, eher mau, leidlich gut, mäßig, aber vertretbar, ganz nett, geht schon so eben noch usw.

Als „durchwachsen“ wird ein Speck bezeichnet, der von magerem, gewachsenem Fleisch durchzogen wird, aber auch eine qualitativ gemischte Leistung einer Fußballmannshaft oder ein Erlebnis mit gemischten Gefühlen, als auch – aus der Agrarsprache kommend – ein Boden oder ein Feld, eine Anpflanzung, die gemischt angesät, angepflanzt oder bewachsen sind, gewollt oder ungewollt, in negativem Sinne bedeutet durchwachsen „durchwuchert“, von Unkraut zum Beispiel.

Und genau dies Letztere betrifft Jesu Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen, das wir vorhin als Evangelium gehört haben und das die heutige Bibelstelle zum Altjahresabend ist, eine Art Ausflug in die religiöse Agronomie der Gleichnisse Jesu, im 13. Kapitel des Matthäusevangeliums zu finden, in der Lutherbibel überschrieben mit „Vom Unkraut unter dem Weizen“.

Zunächst einiges zur sog. Bildhälfte des Gleichnisses, die nicht so einfach zu verstehen ist, wie sie auf Anhieb wirkt, danach die Sachhälfte, also: worum geht´s eigentlich bei dieser bildhaften Erzählung, auch Parabel genannt. Danach dann die offene Frage: Was hat uns dieses Gleichnis Jesu heute, am letzten Tag des Jahres 2021 zu sagen?

1. Bildhälfte:

Ein Mensch, auch Herr bzw. Hausherr genannt, sät guten Samen auf seinen Acker, und siehe: es ist eigentlich alles gut. Dann kommt die Störung ins Spiel, und zwar heimlich, unmerklich, während die Leute schlafen, ohne, dass man dagegen etwas tun konnte. Wogegen? Dass Unkraut unter den Weizen gesät wird von jemandem, der nach seiner Tat gleich wieder entschwindet. Dieser jemand wird als Feind, ein persönlicher, innerer Feind, ein Verhasster bezeichnet. Wenn der Herr des Ackers für Gott steht, dann ist damit sein verdeckt und hinterhältig agierender Gegenspieler gemeint: personifiziert im Teufel, hebr. Satan, dem Be- und Verhinderer des Lebens, griech. Diabolos, dem Durcheinanderbringer, Chaosverursacher. Oder wie in Goethes Faust I Mephistopheles über sich selbst zu Faust sagt (Studierzimmer-Szene):

„Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht;
denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht;
Drum besser wär's, dass nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches Element.“

Der Feind hat heimlich Unkraut gesät, das die Ernte erschweren, ja kaputt, zumindest minderwertig machen soll. Nicht irgendein Unkraut, sondern ein giftiges, das sog. Tollkorn oder auch der „Lolch“ genannt. Der Lolch sieht, das ist das raffiniert Teuflische an ihm, im Anfangsstadium des Wachstums dem Weizen zum Verwechseln ähnlich. Und sein Wurzelwerk wächst schneller und wird größer als das des Weizens, dessen Untergrund er durchwuchert, so dass man den Weizen nur mit ihm zusammen ernten kann, und erst dann, am Tag der reifen Weizenernte ihn aussortieren kann. Der subversive Lolch wird als solch(er) erst erkennbar, wenn sich auch seine Halme und erste Fruchtansätze herausbilden, sichtbar werden. Es erscheint rätselhaft woher das Unkraut kommen soll. „Das hat ein Feind getan“, weiß der Herr. Man solle das Unkraut nicht jetzt ausreißen, weil man sonst den noch nicht ausgereiften Weizen mit ausreißen würde. Also lieber geduldig abwarten bis zum Tag der Ernte, und dann aussortieren.
Soweit die Bildhälfte des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen. Worum geht´s in der Sache?

2. Sachhälfte:

Es ist ein Himmelreichsgleichnis: „Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der …“, heißt es. „Himmel“ ist biblisch eine Ersatzbezeichnung für Gott, dessen Namen Jahwe man nicht aussprechen durfte. Die vollkommene Gottesherrschaft ist gemeint, die sich unsichtbar in dieser Welt bereits entwickelt. Ebenso heimlich angezettelt ist aber das parallel zum Glauben und seiner Gemeinschaft mit Gott ausgesäte Stör- und Chaospotenzial, die negative Gegenbewegung, die man aber nicht gleich bemerkt, destruktiver Lolch, vom Gegenspieler inszeniert.

Jesus hat mit diesem Gleichnis seine eigene Gottesreichspredigt und -glauben und seine eigene Gemeinde (Jünger und viele andere) gemeint, die, je größer die Anhängerschaft wurde, immer mehr „durchwachsen“ wurde, Gegenmeinungen erlebte und Mischgestalt annahm. Jesus will sagen: Wer Weizen und wer Unkraut ist, kann nicht gleich heute entschieden werden, sondern kann endgültig erst dann gesehen und entschieden werden, wenn er wiederkommt, und die Wiederkunft kommt bald, so glaubte man. Jesus mahnt also zu Geduld und Zurückhaltung im Urteil über sich und anders Denkende und Glaubende, ganz im Sinne der Bergpredigt, als Jesus sagt (Mt 7,1 ff.): „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Denn wie ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden. Und mit welchem Maß ihr messt, wird euch zugemessen werden. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“ Also: wer Weizen und wer Unkraut ist, das steht offen bis zur „Ernte“. Und damit ist das Jüngste Gericht bei Christi dereinstiger Wiederkunft gemeint, also eine menschlich nicht zur Verfügung stehende, göttliche Letztbeurteilungsperspektive.

Nun ist es offenkundig, liebe Gemeinde, dass diese Wiederkehr Christi bis heute nicht stattgefunden hat. Nun: „Irren ist menschlich“, und Jesus war ja „wahrer Mensch“. Und so gilt bis heute, wie schon im Matthäusevangelium, Jesu Mahnung: Urteilt nicht, seid geduldig miteinander. Erst am Ende wird sich zeigen, wer Weizen und wer Unkraut, „Lolch“, ist, oder ist jeder beides?

3. Bedeutung für uns heute:

Wie ist es heute, liebe Gemeinde?
Das Christentum hat weltweit über 2000 Denominationen und Konfessionen, manche davon können uns Protestanten schon fast wie eine andere Religion vorkommen, aber: sind wir der Weizen und die anderen „Lolch“? Geduld und die Anerkennung verschiedener Wege sind mit Jesu Gleichnis angesagt. Toleranz im Sinne von tolerare = ertragen, bis einmal am Ende der Zeiten erhoffte Klarheit herrschen wird.

Spannender als diese Frage ist für mich heute, am letzten Tag des Jahres, die Überlegung: Was war Weizen, also gute Saat, und was „Lolch“ im zu Ende gehenden Jahr bei mir? Die Entwicklung meines persönlichen Lebensackers, der übrigens nicht mir gehört, sondern nach alter Vorstellung von Gott geliehen ist auf Lebenszeit, die jederzeit enden kann – das haben wir wieder schmerz-haft erleben müssen in einigen „Fällen“ -, ist diese Entwicklung so eindeutig interpretierbar, dass man sagen könnte: das war bei mir und den Meinen nur gut, das war bei mir und den Meinen extrem schlecht und störend. Oder personifiziert: Bin ich in bestimmten Situationen Weizen gewesen, und (natürlich) die anderen der Lolch? Da sind wir unsicher im Rückblick auf dieses Jahr, vielleicht sogar all die Jahre unseres Lebens. Oder war´s so, dass das Gute und das Schlechte ähnlich eng mit- und ineinander verzahnt und -verwurzelt waren, wie bei Weizen und Lolch? Oder war und blieb immer alles gut? Oder wurde oder war “alles Lolch oder was?“

Schlussgedanke:

„Man kann das Leben nur rückwärts verstehen, aber leben muss man es vorwärts.“ So lautet eine berühmte Weisheit von Søren Kierkegaard.

Die Frage ist nur: ab wann ist man überhaupt in der Lage, sein Leben rückwärts zu verstehen? Ist es überhaupt sinnvoll, über das Vergangene dauernd zu reflektieren, nach zu grübeln, was war und wie es war und warum es so war? Oder kann das nicht auch lähmend wirken, wenn man eigentlich nach vorne schauen sollte, offen für neue Perspektiven und Lebensmöglichkeiten, für das Neue, das neue Jahr? Jesus sagt einmal: Wer die Hand an den Pflug legt, um seinen neuen Acker zu bestellen, und blickt zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Rückblick-Kultur am Altjahrsabend? Unter Historikern wird es skeptisch gesehen, zeitnahe Rückblicke zu veranstalten und zu früh zu wissen zu meinen, wie die nähere Vergangenheit, das noch relativ neu Erlebte zu beurteilen und einzuordnen sind. Seien es positive oder negative Erlebnisse, vermeintliche Erfolge oder Misserfolge, Anlässe zu deuten, die Trauer oder Freude ausgelöst haben. Gute Geschichtsdarstellungen und –interpretationen des Lebens und Geschehens entstehen nämlich immer erst mit einigem zeitlichen Abstand, von Jahrzehnten Abstand ist da die Rede, die nötig wären. Haben wir diese Zeit, jeder einzelne von uns, noch? Geduld!

Insofern ist die ganze aktuelle, wie jedes Jahr wieder medial inszenierte, einigermaßen hektisch vermarktete kurzfristige Jahresrückblick-Kultur ein eher unangebrachter, klischeehaft effektheischender und selbstwiederholen-der Deutungsversuch, der viel zu früh ist. Grassiert aber auch dieses Jahr wieder seit spätestens Ende November allerorten. (Lolch! Allerdings nicht sehr heimlich, eher un-heimlich). Lassen wir uns davon nicht anstecken!

Klar ist gleichwohl, dass der Altjahrsabend / Silvester Anlass gibt, sich deutende Gedanken zu machen, was das letzte Jahr betrifft, persönlich-biografisch, familiär, gesellschaftlich, pandemiemäßig, weltpolitisch usw..
Ich halte es mit dem Gleichnis von Jesus. Und das ist mein Wunsch für Sie im Rückblick auf das Alte und in der Vorschau auf das Neue:

„Obacht geben“: nicht den Weizen mit dem Unkraut zugleich ausjäten. Zeit lassen – das Alte positiv und skeptisch beäugen, nicht zu viel schon jetzt endgültig beurteilen und verurteilen wollen und - das Neue freudig und hoffnungsfroh begrüßen!
Im Vertrauen auf Gottes Blick auf das menschliche und weltliche Leben, der gütiger ist und hoffentlich großzügiger und „barmherziger“, als unser Blick so oft und gerne auf die Welt und uns selbst ist. Gehen wir barmherzig mit uns und der Welt um, wie der Gott, an den wir glauben, es wohl tut.

Von daher: Gute Deutung des Alten, gute Perspektive für das Neue, und gutes Gelingen im Neuen Jahr, das wir unter Gottes guten Segen stellen.

Amen.