Predigt von Pfarrer i.R. Dr. Gerhard Pfister über Römer 11, 33-36 an Trinitatis 2022
Liebe Gemeinde,
dass am heutigen Sonntag Trinitatis, dem Dreinigkeitsfest, fast überall und jedes Jahr nicht die örtlichen Pfarrer und Pfarrerinnen predigen, sondern Vertretungen wie z.B. alte Ruheständler, das hängt vor allem mit den Pfingstferien zusammen, die die meisten Pfarrerinnen und Pfarrer zu einem Urlaub mit ihren Familien nutzen, weniger mit dem Thema der göttlichen Dreifaltigkeit oder Dreieinigkeit oder Trinität. Obwohl es genügend Geschichten darüber gibt, dass die Pfarrer damit ihre Schwierigkeiten haben, z.B. jener oft zitierte bayerische Dorfpfarrer, der erklärte, dass es sich bei der göttlichen Trinität um ein großes Geheimnis, handelt, von dem er nichts versteht und deshalb die Predigt ausfallen muss.
Sie, liebe Gemeinde, müssen das nicht befürchten. Sie müssen aber auch nicht befürchten, dass die Predigt aus einer theologischen Theorie über die göttliche Dreifaltigkeit, also aus einer reichlich spekulativen Gedankenkonstruktion besteht.
Ich bin sehr froh, dass unsere Predigten Texte aus der Bibel zur Grundlage haben, Geschichten und Aussagen von Menschen, die Erfahrungen mit Gott gemacht haben. Solche Erfahrungen, die ausstrahlen und auch uns heute den Grund und den Sinn, die Richtung und das Glück unseres Lebens finden lassen.
Heute am Trinitatistag 2022 hören wir, wie ein Mensch über sein Leben nachdenkt und einen Hymnus, ein Lobpreislied über Gott anstimmt, das nicht zuletzt ein Lobpreislied des Zweifels ist. Hier wird nicht von Gott gesagt, was er alles kann und besonders gut macht, sondern viel eher davon geredet, wie unerklärlich das ist, was Gott tut:
Lesung Römer 11,33-36:
33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! 34 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? (Jesaja 40,13) 35 Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?« (Hiob 41,3) 36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.
Liebe Gemeinde, so klingt eigentlich kein Lobgesang. Kein Wort von dem Gott, der alles so herrlich regiert. Paulus hat verzweifelt versucht, sich Gott anzunähern, ihn zu verstehen. Ihm lag besonders sein Volk Israel am Herzen. Immer wieder die eine Frage: was wird aus Israel werden, wenn durch Jesus Christus jetzt ein neuer Weg zu Gott für alle Menschen der Welt offen steht und Israel sich dem verschließt? Viele Gedanken hatte Paulus sich darüber gemacht und kommt am Ende zu der Erkenntnis: auch das Volk Israel bleibt Gottes Volk. Verstehen kann Paulus das letztlich nicht, nicht begreifen. Er bleibt voller Zweifel über Gottes Wege. Und trotzdem stimmt er diesen Lobgesang an: „Welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge“. Von ihm, durch ihn, zu ihm: Manche haben darin einen vorausschauenden Hinweis auf die göttliche Dreifaltigkeit gesehen. Aber das ist nicht sicher.
Etwas anderes ist dagegen sicher: „Welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis.“ In diese Worte legt Paulus sein Vertrauen und ebenso seine Ratlosigkeit. „Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“ Gott loben kann er, obwohl er ihn nicht versteht. Uns liegt da eher eine andere Möglichkeit näher. Auch uns fällt es an vielen Stellen schwer, Gott zu begreifen. Da stirbt ein junger Mensch, wird mitten aus dem Leben gerissen ohne jeden erkennbaren Grund: Die junge, mit ihren Kindern gerade nach Deutschland geflüchtete Ukrainerin im Regionalzug bei Garmisch-Partenkirchen, die Lehrerin aus Hessen, die der Amok-Autofahrer in Berlin totgefahren hat. Wir singen da wohl kaum einen Lobgesang. Wir fragen eher: Warum? Ist das gerecht, dass jemand so früh sterben muss? Wo bleibst du, Gott? Manche Menschen wenden sich ab von Gott, weil sie sagen: Bei dieser Ungerechtigkeit, die es auf der Welt gibt, kann es gar keinen Gott geben. Wenn Menschen elend verhungern oder sinnlos in Kriegen umkommen, wo ist dann da Gottes Arm, der Geborgenheit verspricht und Schutz?
Paulus kennt genau diese Zweifel, diese Anfechtung. Jeder und jede lernt sie kennen, der oder die es mit dem Glauben an Gott versucht.
Ich bin deshalb froh über die Worte von Paulus, weil sie nicht so glatt und selbstsicher daher kommen. Sein Lobpreis schließt den Zweifel mit ein. Ich denke, dass Zweifel und Glauben ganz nah zusammen gehören. Fast wie zwei Seiten einer Medaille. Wer sich auf Gott verlässt, ist damit nicht frei vom Zweifel. Im Gegenteil: gerade im Vertrauen auf Gott erfahre ich ja den Schmerz an den Zuständen dieser Welt umso stärker. Gerade im ganz persönlichen Bereich erhoffen wir uns, von Gott gesegnet zu sein und seine Nähe zu erfahren. Unter Gottes Schutz leben zu können, ist der Wunsch vieler Menschen. Doch die vielen Erfahrungen, die jeder und jede von uns auf dem Lebensweg gesammelt hat, bringen uns zum Nachdenken, zum Zweifeln, manchmal auch zur Verzweiflung. Auf dem Lebensweg kann es geschehen, dass die Liebe nicht mehr weiter trägt, dass Menschen mit den Jahren immer härter und bitterer werden.
Auf so manchem Lebensweg geht das Vertrauen in Gottes Nähe verloren. In dieser Gefahr sind wir alle, weil wir Gott oft nicht verstehen und seine Gerechtigkeit für uns anders aussehen müsste. Die Lebenswege und damit eben auch die Wege mit Gott sind so vielfältig und nicht immer verstehen wir sie. Darüber sind schon viele Menschen hart geworden. Paulus hat für sich einen anderen Weg gefunden. Er baut sozusagen seine Zweifel und seine Anfechtungen ein in das Loblied. "Wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?" (Jesaja 40, 13) (35) Oder "wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm vergelten müsste?" Paulus zitiert it diesen Fragen den Propheten Jesaja und den Dulder Hiob. Er stellt damit unmittelbar in Frage, dass wir Menschen überhaupt jemals Gott verstehen können. Gott bleibt in vielen Dingen schmerzhaft unverständlich.
In dem, was uns passiert und was in dieser Welt vor sich geht, können wir oft nur die dunkle Seite Gottes sehen. Denn auch das gehört zu Gott: die Abgründe, das Schreckliche, das Leid. Aber das ist nicht alles. Gott ist nicht der schreckliche Gott, sondern der unergründliche. Er lässt sich nicht ausrechnen, nie berechnen. Paulus preist die Tiefe des Reichtums. Durch Jesus Christus hat Gott ein ganz anderes Gesicht bekommen. Die Tiefe ist nicht nur eine Gedankentiefe, sondern sie ist der Abgrund, in den Gott sich hineinbegeben hat. Jesus Christus, der unter uns Menschen gelebt hat und gelitten hat wie ein Mensch nur leiden kann, er ist Gott. In ihm erkennen wir die menschliche Seite Gottes. So stellt sich Gott an unsere Seite. Und das auch dann, wenn wir ihn nicht verstehen. Gott an unserer Seite erträgt unsere Wut, unsern Zweifel und Kummer und unseren Schmerz.
Für Paulus ist das Grund genug, um einen ganz weiten Bogen zu schlagen. Der Gott, der diese Welt und dich und mich geschaffen hat, ist auch der Gott, der am Ende aller Dinge unser Ziel sein wird. Und es ist der Gott, der jetzt an unserer Seite ist, uns im Leben beflügelt, Hoffnung schenkt, uns stark macht und die Kraft gibt, diese Welt zu gestalten. "Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge." Gott gibt sich zu erkennen in vielfältiger Weise. Wir feiern ihn heute am Sonntag Trinitatis als den einen Gott, der drei-einig ist. Er kommt zu uns und ist bei uns als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Paulus hat diese Unterscheidung zwar noch nicht gekannt, aber auch er deutet an, dass Gott so unterschiedlich, so mehrschichtig, so vielfältig ist, dass wir Menschen ihn nie nur auf eine Weise ergreifen können. Da gibt es kein System, in das er sich zwängen ließe, keine Methode, ihn zu begreifen.
Gott entzieht sich immer wieder. Mich fasziniert das Loblied des Paulus, der Gott nicht einfach als gut oder schön besingt, sondern seine ganz persönlichen Zweifel mit hineinbringt in sein Lied über Gott. Mir macht das Mut, mich Gott zu nähern mit allen meinen Fragen und Verzweiflungen, auch mit meiner Trauer und so manchen Anfechtungen, von denen ich nicht frei bin. Wie wunderbar, dass bei allem Zweifel er mein und unser Gott bleibt und sich erfahren lässt. Er beugt sich trotz seiner Unergründlichkeit zu mir und dir herunter und begleitet uns auf dem Lebensweg.
Mir hilft dieses ehrliche Loblied, damit ich auch das Unergründliche in meinem Leben annehmen kann und mit Gott auf dem Weg bleibe: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit!“
Amen