31.07.2022 - 7. Sonntag nach Trinitatis

Gottesdienst


mit Pfarrerin Beate Frankenberger, Tutzing


um 10:00 Uhr in St. Johannes, Berg

Der Gottesdienst fand statt im Rahmen der Predigtreihe "Das Meer. Von den Tiefen und Untiefen des Lebens". Thema der Predigt von Pfarrerin Frankenberger: "Nähme ich Flügel der Morgenröte und flöge ans äußerste Meer" (Psalm 139,9).

Nachstehend (ggf. "Weiterlesen" anklicken) die Predigt zum Nachlesen.

 

„Nähme ich Flügel der Morgenröte und flöge ans äußerste Meer“ (Psalm 139,9)
Predigt von Pfarrerin Beate Frankenberger, Tutzing, in der Sommerpredigtreihe 2022:
„Das Meer. Von den Tiefen und Untiefen des Lebens“


Liebe Gemeinde,

wer von Ihnen musste in Jugendtagen den Psalm 139 im Konfirmandenunterricht auswendig lernen? Ich habe ihn freilich auch auswendig gelernt und es war mein Lieblingspsalm.

In der Pubertät fühlt man sich unsicher und etwas verloren. Ich mochte die Vorstellung, dass da eine große, gütige, unüberwindliche Macht ist, in der ich mich geborgen fühlen kann in meiner Unsicherheit.

„Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir“. Das fühlte sich anders an als das alltägliche fordernde Leben: Das war keine bedrängende Macht, sondern eine Macht, die mir Freiheit ließ.

Selbst wenn ich zweifelte und mit mir selbst unzufrieden war, dann trösteten mich Worte aus dem Psalm 139:

„Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe so bist du auch da.

Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten“.

Nicht nur poetisch und schön klangen diese Worte. Da war so eine unglaubliche Weite und trotzdem vermittelten die Worte Halt und Geborgenheit, auch wenn ich mich verloren fühlte.

Diese Wirkung haben diese Worte bis heute. Sie haben mich seit meiner Jugend begleitet.

„Die Flügel der Morgenröte“ haben es mir angetan“ Was stellen Sie sich darunter vor? Flügel der Morgenröte? …

Was denken Sie zum äußersten Meer? …

Ich habe mir darunter „Gottverlassenheit“ vorgestellt. Den letzten Winkel der Welt. Und da kommt Gott auch hin. Das fand ich und finde ich bis heute beruhigend.

Psychologen und Psychiater schlagen derzeit Alarm. Es gibt so viel Jugendliche, die mit sich und der Welt um sie herum nicht zu Rande kommen. Suizide unter jungen Menschen haben drastisch zu genommen. Corona war ein Brandbeschleuniger für viele psychisch belastete Menschen. Viele Jugendliche fühlen sich nicht geborgen, obwohl sie zum Teil auch aus behüteten Elternhäusern kommen. Viele verletzen sich selbst und ritzen sich auf. Sie hassen sich selbst und fühlen sich von anderen nicht angenommen. Das erlebe ich auch hier in Tutzing.

Im Konfirmandenkurs, in der Schule haben wir die Chance von unserem Glauben zu reden, der ihnen Geborgenheit in äußerster Verlorenheit vermittelt. Aber an Viele kommt man gar nicht mehr heran, weil sie weder in den Religionsunterricht gehen noch sich konfirmieren lassen. Von ihren Eltern bekommen sie kaum noch vermittelt, dass es einen Gott gibt, der bis ans Äußerste geht und einen dort abholt. Dabei brauchen auch Eltern Trost und Halt, wenn sie nicht mehr an ihre Kinder herankommen, die sich in ihr Unglück verkapseln.

Ich mag nicht jammern, dass die Gesellschaft Religionsloser wird. Es lässt mich die Not nicht unberührt. Genauso wenig lässt mich die Not vieler alter Menschen unberührt, die sich elend und von Gott verlassen fühlen. Alle professionelle Heilkunst hilft nicht ohne einen Glauben an eine Macht, die größer ist als mein Können. Selbst im Tod und darüber hinaus wirkt Gott zum Leben hin. Dass es eine Freude und eine Herrlichkeit gibt, trotz Untiefen und Tiefen des Lebens, die einen beuteln. Sonst hält man das doch gar nicht aus.

Ich will mich halten an die Zusage Gottes, dass er mich und alle Menschen in Nöten mit unseren zerbrechlichen Flügeln der Morgenröte ans äußerste Meer trägt und wieder zurück auf die Erde. Diese Zusage soll uns und alle die sich so sehr um jemanden sorgen, und an sich selbst verzweifeln, tragen.

Für uns ist gesorgt. Wir brauchen nicht zu ackern, zu rudern, damit das Leben gelingt.

Erinnern wir uns: Das Wichtigste bekommen wir geschenkt.

Es hat keinen Sinn, irgendetwas mit Gewalt herbeizuführen. Auch die Wendung eines Schicksals kann ich nicht beeinflussen. Allein der Glaube macht´s, dass ich ruhig werde und das Leben aus Gottes Hand zu nehmen weiss.

Schenke Gott uns allen immer wieder diesen Glauben. Das Leben anzunehmen. So ein biblischer Lebensstil ist nicht immer leicht, weil wir alle immer wieder angefochten werden vom Leben. Aber immer wieder lädt uns Gott ein, zu vertrauen:

„Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir“.

Es ist jenseits allen Begreifens. „Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch und ich kann sie nicht begreifen“, sagt der Psalmbeter.

Es ist wie der Blick in den Sternenhimmel des Nachts, wenn das Wetter klar ist. Hell, funkelnd, weit weg, verheissen die Sterne: Licht in der Dunkelheit in der Weite Gottes.

Da ist ein großes Ganzes, das ich nicht verstehe, aber ich gehöre dazu. In diesem riesigen Horizont bin ich Menschlein gehalten und geborgen. Wo auch immer wir sind unter dem großen Himmel. Gott ist da. Mal streift seine Hand meine, mal streichelt er sie, mal ist sie nicht zu spüren. Doch darf ich gewiss sein, Gott ist immer nur eine Handbreit entfernt, ich brauche nur den Finger auszustrecken, ob es finster ist oder licht.

Die Morgenröte ist die zarte Verheissung eines neuen Morgens nach der Nacht.

Unsere Augen öffnen sich für das Himmelslicht, für das erste Vogelschwingen in der Früh und den Wind der uns einer anderen Welt entgegenträgt.

Joseph von Eichendorff hat dies in meinem Lieblingsgedicht „Mondnacht“ so ausgedrückt:

Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt'.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis’ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Auf dass unsere Seele immer wieder ihre Flügel ausspannen kann und mit der Morgenröte am äußersten Meer nach Hause kommt. Amen.

Der Friede, der höher ist als all unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.