Gottesdienst
mit Pfarrer i.R. Dr. Wolfgag Döbrich, Feldafing
um 10:00 Uhr im Katharina von Bora-Haus, Berg
Der Gottesdienst fand statt im Rahmen der Predigtreihe "Das Meer. Von den Tiefen und Untiefen des Lebens". Thema der Predigt von Pfarrer Döbrich: "Er soll herrschen von einem Meer bis ans andere…“ Psalm 72,8.
Nachstehend (ggf. "Weiterlesen" anklicken) die Predigt zum Nachlesen.
„Er soll herrschen von einem Meer bis ans andere…“ (Ps 72,8)
Predigt von Pfarrer i.R. Dr. Wolfgang Döbrich über Psalm 72 zur Sommerpredigtreihe 2022:
„Das Meer. Von den Tiefen und Untiefen des Lebens“
Als ich das Thema der diesjährigen Sommerpredigtreihe las: „Das Meer. Von den Tiefen und Untiefen des Lebens“ durchzuckten mich zwei höchst unterschiedliche Assoziationen:
1. Das Meer: „Sehnsuchtsort – Weite, Unendlichkeit, Ahnung von Transzendenz.“
Wann ich zum ersten Mal das Meer gesehen habe, weiß ich nicht. Aber ich erinnere mich an Postkarten mit Bildern vom Meer, die in der Sommerzeit zu Hause eintrudelten. Dann die Erinnerung an Familienreisen mit unseren Kindern – meistens ans Meer. Welche Ferienfreude, wenn eines der Kinder rief: „Ich bin der Erste. Ich habe das Meer gesehen!“ Schließlich die Dienstreisen als Lateinamerika¬beauftragter zu den Partnerkirchen: sie waren meist verbunden mit einem Flug über den Atlantik. Ich wurde auf der anderen Seite des großen Teichs von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Gemeinden empfangen, ich erlebte eine herzliche Begrüßung – oft verbunden mit einer kleinen Andacht. Dazu der Besuch bei guten Projekten und Menschen, die wir von Deutschland aus unterstützten. Da keimte oft das Hochgefühl von einer Welt unter Christus auf: „Er soll herrschen von einem Meer bis ans andere…“
Dann aber sofort die 2. Assoziation: „Das Meer: Unglücksort – Herrschaft von Krieg, Gewalt und Unrecht“.
Dass unsere Meere nicht von Gott, sondern vom Menschen mit Krieg und Gewalt dominiert werden, das erfahren wir jeden Tag aus der Zeitung. Die Stichworte: Schwarzes Meer, Straße von Formosa oder Taiwan, Rotes Meer, persischer bzw. arabischer Golf, dazu die Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer oder in der Karibik lassen uns sofort an Gefahr, internationale Konflikte und individuelles Sterben denken. Viele Menschen erleben das Meer als Inbegriff von Schrecken, als Ort, wo ihnen Böses widerfährt.
Wie passen die beiden Assoziationsketten von Freude und Glück, von Gewalt und Angst zusammen? Wie lässt sich ihr Widerspruch mildern oder sogar lösen? Vielleicht geben uns Glaube und biblische Tradition, unsere „Schrift“, Hinweise zur Klärung. In der Bibel finden wir einen Psalm, der wohl zum Herrschaftsantritt der israelitischen Könige vorgetragen wurde. Es ist ein Traum, vielleicht eine Prophezeiung von einer friedlichen Welt, in der die irdische Regierung die himmlische Herrschaft über die Welt angemessen repräsentiert und vertritt.
Ich lese Psalm 72,1-11, 18-19
„Zu seinen Zeiten soll blühen die Gerechtigkeit und großer Friede sein…“ Doch auch wenn alle das wollen: Es ist offenbar ungeheuer schwer, dies zu verwirklichen. Manche Menschen träumen davon, dass sich irgendwann das Gute wie von selbst durchsetzt bei den Menschen. Sie träumen davon, dass Kriegsparteien sich durch mahnende Appelle zur Vernunft bringen lassen, dass an allen Küsten Mitgefühl und Aufnahmebereitschaft für Bootsflüchtlinge bestünde. Die Erfahrungen aus der Menschheitsgeschichte geben dieser Hoffnung allerdings kaum Nahrung. Wenn Frieden und Gerechtigkeit herrschen, dann nur, weil sie von starken und klugen Regierungen durchgesetzt und aufrechterhalten werden. Auch in der Ukraine und in den anderen Kriegsgebieten der Welt wird es nur dann wirklich Frieden und Gerechtigkeit geben, wenn klar ist, wer herrscht – ob es weise und gerechte Menschen sind, die verantwortlich handeln und zugleich ihre Macht zu behaupten vermögen.
Im Römischen Reich herrschte vor 2000 Jahren Frieden. Zu verdanken war er einem Kaiser, den man „Friedenskaiser“ nannte: Gaius Octavius Augustus, der Mann mit der Schätzung zu der Zeit, als Jesus geboren wurde. Gerecht kann man seine Regierung allerdings kaum nennen; er schaffte Frieden durch Unterdrückung. Dabei halfen ihm Unterkönige, die er in allen Provinzen seines riesigen Reiches einsetzte. Einer von ihnen hieß Herodes und residierte in Jerusalem. Weder von ihm noch von Augustus erwartete das jüdische Volk Gerechtigkeit. Vielmehr hoffte es auf einen anderen König, den die Propheten vorausgesagt hatten: einen Sprössling aus der Dynastie Davids. Der würde mit starker Hand regieren und Frieden und Gerechtigkeit bringen.
Zu dieser Zeit beobachteten im Mittleren Osten Sterndeuter am nächtlichen Himmel eine besondere Konstellation, die wie ein einziger heller Stern erschien. Wir kennen die Geschichte. Die weisen Leute ahnten: Dieser Stern kündigt die Geburt eines Königs im Volk der Juden an. Sie fragten sich, ob jetzt der geboren sei, der Frieden und Gerechtigkeit bringen würde. Sie wollten sich selbst ein Bild machen, reisten nach Jerusalem und erkundigten sich bei Herodes nach einem neu geborenen Prinzen. Der Rest der Geschichte ist bekannt.
Etwa tausend Jahre vorher lebte in Jerusalem, der Stadt mit „Frieden“ im Namen, ein Prinz, dem seine Eltern den Namen „Sein Friede“ gegeben hatten, auf Hebräisch Salomo. Sein Vater war König David, und sein Erzieher war der Prophet Nathan. Nathan wird dem Königssohn erzählt haben, was Gott ihm einst im Traum gezeigt hatte: Ein Nachkomme Davids wird einmal mächtig herrschen; dabei wird er der ganzen Welt Frieden und Gerechtigkeit bringen. Nathan war somit der erste in der langen Reihe von Propheten, die den Davidsohn vorausgesagt hatten. Der junge Salomo wird sich gefragt haben, ob sich diese Verheißung auf ihn selbst bezieht. Aber er war weise und demütig genug zu erkennen, dass ein anderer gemeint sein muss, ein Größerer. Zwar regierte Salomo das Volk Israel gerecht und friedliebend, ja, er führte es zu einer noch nie gesehenen Blüte. Aber das verheißene ewige Friedensreich für alle Völker von einem Meer bis ans andere, das konnte er nicht aufrichten. So gab er die Davidsohnverheißung weiter. Der 72. Psalm wird Salomo zugeschrieben als Prophezeiung von dem König und David-sohn, der einmal Frieden und Gerechtigkeit für die ganze Welt bringen wird.
Im Wesentlichen sind es drei Dinge, die Salomo in seinem Psalm beschreibt, und die den Friedenskönig auszeichnen: Er kommt, er hilft, er herrscht.
Erstens: Der König kommt. Salomo betete: „Lass die Berge Frieden bringen für das Volk und die Hügel Gerechtigkeit.“ In den Bergen Judäas liegt das Städtchen Bethlehem, wo Jesus geboren wurde. Dort liegt auch die Stadt Jerusalem, wo Jesus starb, auferstand und gen Himmel fuhr. Dort befand sich der Tempel, von dem Gott versichert hatte: Hier können alle zu mir beten, hier werden sie mich finden mit meiner Gnade, Liebe und Treue. Der König der Gerechtigkeit und des Friedens kommt aus Israel, aus Judäa, aus der Davidstadt Bethlehem. Zugleich kommt er vom Himmel herab, aus der Welt Gottes. Er ist nicht nur ein Menschensohn, also ein Davidsohn und Mariensohn, sondern zugleich auch Gottes Sohn. Er kommt vom Himmel herab wie ein fruchtbarer Regen. Wo das Land diesen Regen aufnimmt, da beginnt es zu blühen.
Zweitens: Der König hilft. Er bringt einmal aus Gottes Welt Frieden und Gerechtig¬keit – und erfüllt damit die Bitte im Vaterunser: „Dein Reich komme!“ Er sorgt dafür, dass die Elenden und Bedrängten zu ihrem Recht kommen. Er befreit die Unterdrückten. Dabei hilft er nicht nur einem bestimmten Volk, nicht nur den Juden, nicht nur den Nachfahren Israels. Er hilft allen, die ihn um Hilfe bitten. Alle Menschen sind ihm gleich wertvoll. So bringt er Frieden und Gerechtigkeit für die ganze Welt, für Land und Meer. Salomo verheißt am Ende seines Psalms: „Durch ihn sollen gesegnet sein alle Völker, und sie werden ihn preisen.“ Indem Salomo dies sagt, geht er in Gedanken noch einmal tausend Jahre zurück. Er denkt an Israels Stammväter Abraham, Isaak und Jakob. Allen dreien hat Gott nach¬einander verheißen: „In dir sollen gesegnet werden alle Völker auf Erden“ (1. Mose 12,3). Der Davidsohn ist also der Segensbringer aus Abrahams Geschlecht. Sein Segen besteht aus Frieden und Gerechtigkeit.
Drittens: Der König herrscht. Sein Segen bringt Frucht an allen Orten. Dafür preisen ihn Menschen aus allen Völkern. Nicht nur Elende und Bedrängte loben ihn, sondern auch Reiche, Weise und Könige. Das hat sich schon bei seiner Geburt gezeigt: Die Hirten kamen stellvertretend für alle Elenden und Bedrängten der Welt, die Weisen aus dem Morgenland stellvertretend für alle Reichen, Weisen und Mächtigen. Alle beugen sie ihre Knie vor dem göttlichen König, alle bringen Geschenke – so wie es damals Könige zu tun pflegten, wenn sie sich der Macht eines höheren Königs unterwarfen. Und Christus ist der höchste Herrscher: Nicht nur, dass sich seine Herrschaft über alle Völker erstreckt, sondern sie währt auch für immer. Salomo prophezeite, dass er herrschen wird, solange Sonne und Mond scheinen. Wir glauben: Auch wenn Sonne und Mond einmal nicht mehr scheinen, wird die Herrschaft dieses Königs immer noch Bestand haben. Er ist der Pantokrator, der in Ewigkeit Frieden und Gerechtigkeit durchsetzen wird gegen allen Widerstand.
Soweit die Botschaft aus Salomos Psalm: Der König kommt, hilft und herrscht.
Als Christen glauben wir: Dieser König ist Jesus Christus, unser Herr. Er bringt uns im Glauben Frieden und Gerechtigkeit. Er kommt, um zu helfen und Frieden zu schaffen. Er ist Gottes ausgestreckte Hand zu allen Menschen. Gott ist bereit zu friedlicher Gemeinschaft. Weil aber Friede nicht ohne Gerechtigkeit zu haben ist, hat Jesus Christus auch die Gerechtigkeit Gottes gebracht. Er ist den Menschen gerecht geworden und hat die Lasten getragen, die Menschen sich selbst und anderen auferlegen. Der verheißene König, der Gottessohn und Davidsohn, hat mit seinem Leben bezahlt für Frieden und Gerechtigkeit unter den Menschen und mit Gott. Als Christinnen und Christen, als Volk dieses Herrn, dürfen wir seinen Frieden leben und weitergeben. Wo immer Menschen ihm und seinem Volk vertrauen, da kehren Frieden und Gerechtigkeit ein.
Deswegen bemüht sich unsere Kirche im Rahmen ökumenischer Kirchengemeinschaften wie dem Lutherischen Weltbund oder dem Ökumenischen Rat der Kirchen, dessen Vollversammlung Ende August in Karlsruhe stattfindet, gegenseitige Hilfe zu fördern, weltweite Gemeinschaft in kirchlichen Partnerschaften zu realisieren, den Armen gerecht zu werden. Deswegen gibt es Aktionen wie „Brot für die Welt“, oder das „Rote Kreuz“, die global Zeichen für die Königsherrschaft Christi in aller Welt setzen. Deswegen können wir bereits heute Land und Meer als verbindende Elemente sehen: „Er soll herrschen von einem Meer bis ans andere, und von dem Strom bis zu den Enden der Erde.“
Dennoch müssen wir realistisch bleiben: Viele Menschen verweigern sich dem Frieden und der Gerechtigkeit, die Christus gebracht hat. Viele erkennen ihn nicht als Herrn an, oder nur zum Schein. Vielen ist der persönliche Vorteil oder – siehe Russland – die Größe und Tradition ihres Landes wichtiger als das Prinzip der Liebe, das Jesus uns Menschen ans Herz gelegt hat. Und so kommt es, dass sich Christi Frieden und Gerechtigkeit in der Welt noch so wenig auswirken. Krieg und Gewalt übertönen seine Stimme. So müssen wir weiterhin nüchtern sehen, was die Barmer Erklärung 1934 – angesichts von aufkommendem staatlichen Terror – grundsätzlich für diese Welt festgestellt hat: „Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach gött¬licher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, … nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen… (Die Kirche) erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.“ Unser Psalm als Gottes Wort hält auch in unserer Welt die Hoffnung lebendig, dass die Herrschaft des höchsten Königs die Macht des Bösen einmal endgültig brechen wird. Dann werden wir uns – nicht nur vorläufig und ansatzweise – sondern vollkommen an dem Frieden und an der Gerechtigkeit erfreuen, die Christus dieser Welt „von einem Meer bis ans andere“ gebracht hat. Dann wird die Freude über das Meer als Sehnsuchtsort das Leid über das Meer als Unglücksort zum Verschwinden bringen.
Amen.