Musikalischer Abendgottesdienst
mit Pfarrer Julian Lademann, Penzberg sowie
Thomas Gazheli (Bass-Bariton) und Beate Killenberg (Klavier)
um 18.30 Uhr im Katharina von Bora-Haus
Der Gottesdienst fand statt im Rahmen der Predigtreihe "Das Meer. Von den Tiefen und Untiefen des Lebens". Thema der Predigt von Pfarrer Lademann:
„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann lehre die Sehnsucht nach dem großen, weiten Meer“ (Antoine de Saint-Exupéry).
Nachstehend (ggf. "Weiterlesen" anklicken) die Predigt zum Nachlesen.
"Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann lehre die Sehnsucht nach dem großen, weiten Meer“
(Antoine de Saint-Exupéry)
Predigt von Pfarrer Julian Lademann in der Sommerpredigtreihe 2022:
„Das Meer. Von den Tiefen und Untiefen des Lebens“
Liebe Gemeinde,
Was für eine große Faszination übt doch das Meer auf uns aus: die Weite, die Freiheit, allein der Duft, das Rauschen; und ein Blick in die Ferne! Ich kann das bestätigen. Noch am Freitag stand ich staunend in Hamburg, am Elbstrand und habe die tonnenschweren Containerschiffe staunend beobachtet – wie sie hinaus fahren aus dem großen Welthafen, auf die offene See hinaus. Und wenn man da so steht und staunt, entstehen Träume und Wünsche, Fantasien und Fernweh. Wo fahren sie hin, wenn sie da so fast wie in Zeitlupe vorbei schweben. Was werden sie auf der See erleben? Wird es Sturm geben?
Unzählige Schlagertitel gibt es über das Meer, widmen sich diesem Fernweh. Besonders schön ist das zu greifen im Lied von 1960 von Lale Andersen: Dem Mädchen aus Pyräus, das voller Sehnsucht und Träume auf die fremden Schiffe wartet. „Ein Schiff wird kommen...“ Faszination Meer und Fernweh.
Ein ähnlicher Schlager, aus demselben Jahr 1960, findet sich in unserem evangelischen Gesangbuch; vom „Schiff, das sich Gemeinde nennt“, welches durch Flauten und Sturm segelt, immer Ziel und Kurs auf das Reich Gottes. Das Ziel, das ihm die Richtung weißt, heißt Gottes Ewigkeit. Das Meer und die Fahrt in die Weite sind eine dankbare Analogie zur Kirche und Gemeinde, Meer und Stürme, sicherer Hafen, eine verlässliche Mannschaft, alles wichtige Analogien – manchmal auch für das Leben an sich?!
Doch wie hält man bei über 2000 Jahren Fahrt die Mannschaft in und auf dem Kirchenschiff bei Laune? Es ist sehr lange her, dass Jesus auf dieser Erde war; dass er Wunder getan hat; dass er wirkte, vom Reich Gottes geschwärmt hat; dass er in Menschen die Sehnsucht weckte, das manche sogar alles stehen und liegen gelassen haben.
Ein berühmtes Zitat wird dem Schriftsteller des kleinen Prinzen Antoine de Saint-Exupery zugeschrieben: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
So stell ich es mir vor, wenn Jesus zu seinen Jüngerinnen und Jüngern gesprochen hat; von der Liebe Gottes; vom großen Reich, das schon mitten unter uns ist; dass nur der, der wie ein Kind wird ins Himmelreich hineinkommt. Sehnsucht nach dem Meer, nach dem großen Ganzen - das zu lehren, war glaube ich, eine große Stärke unseres Heilands.
Doch das ist lange her. Wie ist es auf unserem Schiff, auf dem Kurs zu Gottes Ewigkeit? Wir erleben in unserer Kirche und in unseren Gemeinden umfassende, ja fundamentale Veränderungen. Da geht es um Geld und Gebäude, um Stellen, die nicht mehr besetzt werden können; einen massiven Bedeutungsverlust der Kirche und fehlenden Nachwuchs bei den Pfarrerinnen und Pfarrern, der nicht mehr aufgeholt werden kann.
Es beginnen strategische Planungen und Beratungen, da wird zuammengetrommelt und eingeteilt, Holz beschafft, gekürzt und gesägt - was sicherlich auch dringend nötig ist! Das Schiff, das sich Gemeinde nennt, es ist wie ein großes, behäbiges Containerschiff mit viel Ballast und sehr langsam im Wenden. Aber ganz im Sinne des Zitates „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer“, darf doch gefragt werden, ob man sich nicht noch stärker auf den Willen Gottes verlassen sollte. ER ist es schließlich, der SEINE Kirche baut – durch alle Stürme und Gezeiten.
Soll man also auf Sicht fahren, sehen wir denn genau? Kommt es nicht auf die Perspektive an?
[22] Und sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre. [23] Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? [24] Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen. [25] Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht, sodass er alles scharf sehen konnte. [26] Und er schickte ihn heim und sprach: Geh nicht hinein in das Dorf! (Markusevangelium, Kapitel 8)
In unserem heutigen Predigttext geht es um ein Wunder. Ein Blinder wird zu Jesus gebracht. Der Mann ist blind, er kann nichts sehen und ist immer auf Andere angewiesen. Sie müssen ihn führen, ihn versorgen, ihn ernähren. Er sieht nichts, er sieht keine Zukunft. Doch das gehört zu seiner Lebensgeschichte. Seit vielen Jahren, vielleicht seit seiner Geburt – wir wissen es nicht – lebt er nun mit diesem Mangel. Er kennt es nicht anders, kennt keine Farben, kein Lächeln. Aber in seinem Kopf, da wird es so etwas geben wie ein Bild, wie eine Sehnsucht, eine Fantasie, eine Weite wie das Meer. Nichts kann er gegen seine Blindheit tun und nirgends kann der Mann alleine hingehen. Doch dann kommt Jesus in sein Dorf, nach Betsaida. Sie bringen den Mann zu ihm! Sie setzen großes Vertrauen in Jesus : „Rühre ihn an“ – vielleicht geschieht ja dann ein Wunder. Der Blinde trifft auf den, der die Massen anzieht; der Lahme gehend machen kann; der Menschen auf die Sprünge helfen kann; der Taube hören lassen kann; der Menschen sagt: „Hört neu hin, hört zu!“ Dieser kommt, der scheinbar alles vermag, sogar Wunder. Der Menschen die Augen öffnen kann, der das Licht ist!
Dann geht alles ganz schnell, knapp in drei Versen erzählt: Jesus bei der Arbeit. Sie gehen vor das Dorf. Jesus ist es jetzt der den Blinden führt; er nimmt den Mann an der Hand. Ein schönes, ein wichtiges Bild. Auch so ein Bild für die Nachfolge, ein Bild für die Zukunft. Sie gehen vor das Dorf. Und dann geschieht es. Die Augen des Blinden brauchen etwas Zeit – langsam werden sie schärfer. Erst sieht er nur verschwommen. Ich denke an dieser Textstelle, in diesem Moment des Wunders an die berühmten Worte des Apostel Paulus im ersten Korintherbrief: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin“. Mit dem klaren Sehen im Reich Gottes ist es so eine Sache. Manchmal braucht es seine Zeit. „By and by“ – Stück für Stück. Erst wenn Gott es will, werde ich sehen können mit seinen Augen; werde ich erkennen, so wie ich erkannt bin!
Dann kann der Mann sehen, deutlich sehen, der Blinde ist damit kein Blinder mehr. Nach vielen Jahren der Trübsal und Dunkelheit ist er plötzlich wieder gesellschaftsfähig. Plötzlich steht ihm alles offen – der Mann sieht sein ganzes Leben vor sich, all die Perspektiven und Möglichkeiten – ja vielleicht steht er eines Tages auch am Meer und sieht weit in die Ferne und den Schiffen hinterher. Alles geschieht hier im Evangelium ganz einfach, ein Satz, einmal, zweimal die Hände auflegen, etwas Spucke - ein Wunder eben. Und obwohl der Sehende nichts verraten soll, kann dieser die gute Tat nicht vergessen. Er kann jetzt sehen. Neue Perspektiven haben sich ihm aufgetan. Er sieht das Licht. Seine Geschichte mit Jesus ist schnell weit bekannt, bis zum heutigen Tag.
Blickt man auf dieses Wunder so ist man zunächst erstaunt, freut sich mit dem Blinden, der nach so langer Zeit wieder leben darf und dessen Vertrauen in Gottes Sohn nicht vergebens war. Zugleich bleiben aber auch die Fragen, vielleicht gehören sie ja zum Wunder dazu: Jesus hat Viele geheilt, Einige wurden von ihm gerettet. Viele sind ihm aber auch nicht begegnet, sind einsam und krank, sind blind geblieben. Es warten noch immer viele in ausweglosen Situationen auf ein Wunder. Sie beten voller Hoffnung zu Gott, warten und wollen sehen! Wollen eine neue Perspektive – und werden enttäuscht. Leiden, das zu Geduld herausfordert, aber auch zornig machen kann und nach Gott fragen lässt. „Warum nicht ich? „Warum gibt es heute keine Wunder mehr?“ Die Botschaft Jesu richtet sich nicht nur an seine Zeitgenossen, nicht nur an die Glücklichen, die ihn treffen konnten. Seine Botschaft strahlt darüber hinaus. Durch sein Leben, durch sein Zugehen auf die Verloren, gibt er auch heute noch Hoffnung.
Er nimmt auch mich bei der Hand, will auch mir die Augen öffnen; immer wieder neu, dass ich klarer sehen lerne; ja vielleicht will er mich auch die Sehnsucht lehren, nach diesem großen, weiten Reich Gottes; das schon und noch nicht angefangen hat; mitten unter uns.
Am Anfang seines Weges suchten Jesus die Massen, feierten den Wundertäter und seine Taten. Am Ende seines Lebens war er allein. Seine Jünger, seine Familie, seine Freunde ließen ihn im Stich. Er wurde gemieden om Volk, sie spuckten auf ihn. Jetzt ist er der Machtlose, der auf ein Wunder wartet. „Vater, lass diesen Kelch vorübergehen!“, schreit er. Aber das Wunder wird nicht eintreffen, blind ist er vor Verzweiflung, er sieht keinen Ausweg mehr. Einsam stirbt Gottes Sohn am Kreuz – von der Welt verlassen und von Gott verlassen. Er weiß ganz genau was es heißt, wenn es keine Rettung mehr gibt, kein Wunder für ihn. Und doch hält Jesus bis zuletzt an Gott fest. Nach drei Tagen ist der Stein vom Grab weggerollt. Das Größte aller Wunder geschieht. Das zu wissen, diesen Blickwinkel einzunehmen, neu zu sehen, das kann Kraft geben; kann Hoffnung schenken. Zu wissen, Jesus sieht mich, er kennt mein Leiden, weiß wie es um mich steht. Auch wenn ich keinen Ausweg sehe, wenn es keine Lösung mehr gibt, wie ich sie mir wünsche oder erwartet habe – ich kann mich an ihn wenden. Er ist es, der unsere Welt verändern kann, der neue Perspektiven schafft, der mich führt, wenn ich meine Hand in seine lege.
Viele Jahre fahre ich schon hier unserem Dekanat auf das Kinderzeltlager Lindenbichl. 300 Kinder 11 Tage lang. Und oft auch 11 Tage Regen. Dann sieht der kleine Staffelsee auch manchmal, mit seiner Gischt, aus wie ein großes dunkles Meer. Dort traf ich auf einen guten Bekannten. Am Abend als die Kinder längst in den Zelten schliefen, kamen wir am Lagerfeuer ins Gespräch. „Warum gibt es eigentlich keine Wunder?“, fragte er mich zornig. „Warum können wir nicht einfach ein beschissenes Wunder haben?“ Ich war ehrlich gesagt überrascht, natürlich als Pfarrer gefragt und so zornig hatte ich meinen Bekannten, der als Erzieher arbeitete, noch nie erlebt.Und dann erzählte er: Seine Kirchengemeinde hatte eine Idee: Nach reichlicher Überlegung, vielen Gesprächen mit der Pfarrerin, dem Kirchenvorstand, Elternabenden, da wollten sie zum ersten Mal auch ein schwerstbehindertes Kind mitnehmen. Eine schöne Idee! Aber schon nach wenigen Tagen stießen alle an ihre Grenzen: die jugendlichen Betreuer, das Kind selber und ebenso die anderen Kinder. Beinahe versank das Lager im Chaos und an einen geregelten Tagesablauf war nicht mehr zu denken. Ständig musste sich mindestens einer der Betreuer um das Kind kümmern. Mein Bekannter war zornig. Er war zornig auf seine Kinder, die das behinderte Kind auslachten, wenn es hinfiel, oder sich angeekelt abwandten, wenn das Kind spuckte. Er war zornig über sich selbst. Denn auch er ertappte sich dabei, dass er nicht immer geduldig war, sondern sich über das behinderte Kind ärgerte, wenn es schrie oder trotzig auf dem Boden stampfte, wenn es nicht einschlafen wollte, träumte und schrie. Aber am Zornigsten war mein Bekannter auf Gott. Wie konnte Gott zulassen, dass sich dieses kleine Wesen so durch das Leben quälte, abends in den Schlaf weinte, sich nicht ausdrücken konnte? Warum machte es Gott nicht einfach gesund? Einfach gesund, sowie es immer in der Bibel geschieht. Ganz schnell, zack, zack, ein Wunder. Warum macht er den Jungen nicht einfach gesund? Er kann über das Meer laufen. Aber das macht er einfach nicht. Will er nicht?“
Ein paar Abende später dann trafen wir uns wieder am Lagerfeuer. Als ich ihn vorsichtig nach dem behinderten Kind in seinem Lager fragte, da lächelte er etwas verlegen über seinen Wutausbruch in unserem letzten Gespräch.
„Er hat sich verändert“, sagte er. „Die anderen Kinder, die tun ihm gut. Jeden Tag entdeckt er Neues. Nie wird er so spielen können, wie die anderen, und nie wird er gesund sein. Noch immer ist sein Leben manchmal eine Qual, aber er hat sich verändert. Ich kann es mir nicht erklären (fuhr er fort). Er hat auch uns verändert." So als hätte er uns die Augen geöffnet.
Wir lachen jetzt viel mit ihm, nehmen es leichter, nehmen es mit Humor. Die anderen Kinder, die helfen ihm jetzt, wenn er fällt, sie sagen „Spuck nicht!“, sind geduldig, achten plötzlich auch aufeinander. Ja wir schauen jetzt alle mehr aufeinander. Wir schauen jetzt anders. "Irgendwie ist es ein Wunder!“
Auf die Perspektive kommt es an, liebe Gemeinde. Ja, Wunder gibt es noch, sie passieren heute und hier. Oft ganz anders als wir Menschen uns das wünschen oder vorstellen mögen; anders, als wir sehen können oder erahnen. Es braucht oft für ein Wunder einen zweiten Blick und doch, so bin ich mir sicher, lohnt dieser Blick: Erst verschwommen, wie ein Meer, und dann deutlich. Das Reich Gottes, es wirkt in unser Welt.
Manchmal ganz leise, manchmal kaum sehbar - und doch geschieht es!
Amen