Festgottesdienst mit Abendmahl
mit Pfarrer Johannes Habdank
um 10 Uhr im Katharina von Bora-Haus, Berg
An diesem Tag wurde das 5-jährige Bestehen des Glockenturms und 35 Jahre Grundsteinlegung Katharina von Bora-Haus gefeiert.
Im Anschluss an den Gottesdienst waren alle Besucher zu einem kleinen Imbiss eingeladen. Ferner konnte in einer Videoaufzeichnung der Guss der Glocken Martin und Katharina im hessischen Sinn am 16.09.2016 noch einmal nachempfunden werden.
Der Festtag wurde in Bildern dokumentiert, die hier in der Bildergalerie zu sehen sind.
Nachstehend Lesung und Predigt zum Nachlesen.
Lesung für den 23.10.2022
Das Evangelium für den heutigen Sonntag steht bei Markus im 2. Kapitel – es sind zugleich die Worte für die Predigt heute:
1Und nach etlichen Tagen ging er wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war. 2Und es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort.
3Und es kamen einige, die brachten zu ihm einen Gelähmten, von vieren getragen. 4Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, gruben es auf und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag. 5Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.
6Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: 7Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?
8Und Jesus erkannte alsbald in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten, und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? 9Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin?
10Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden – sprach er zu dem Gelähmten: 11Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!
12Und er stand auf und nahm sogleich sein Bett und ging hinaus vor aller Augen, sodass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben solches noch nie gesehen.
Herr segne dein heiliges Wort an uns allen. Amen.
Predigt von Pfarrer Johannes Habdank am 19. Sonntag nach Trinitatis 2022: "Barrierefreiheit" (Mk 2,1-12)
Liebe Gemeinde,
seit Jahren ist in unsrer Gesellschaft die „Barrierefreiheit“ zunehmend thematisiert worden. Städte- und straßenbaulich, Gehwege und Kreuzungen betreffend, und den Zugang zu öffentlichen und privaten Gebäuden und die Wege und Gänge in den Gebäuden und Häusern, Aufzüge, Treppenlifter. Ganz besonders wichtig ist Barrierefreiheit in Einrichtungen für Menschen mit einer körperlichen Behinderung und überall, wo sie problemlos Zugang haben können sollen, also eigentlich überall. Zum Beispiel die Bildungs- und Erholungsstätte Langau im Pfaffenwinkel, wo neulich der neue geschäftsführende Vorstand Markus Ebinger, ein methodistischer Pfarrer, ehem. theologischer Chef der Martha-Maria-Krankenhäuser, feierlich in sein Amt eingeführt wurde, ist natürlich so eine barrierefreie, auch inklusive Begegnungsstätte. Wir waren dort vor einigen Jahren auf einer Gemeindefreizeit.
Wie sieht es bei uns aus? Also der Glockenturm, gestern vor 5 Jahren eingeweiht, ist barrierefrei, unten im Eingang, wenn die Tür mal auf ist. Dann aber müsste man die Leiter innen hochsteigen, eine für mich schon nicht zu überwindende Barriere, weil ich nach 1-2 Metern Höhenangst bekomme. Ja, manchmal ist der Mensch selbst sein eigenes Hindernis, seine eigene Barriere, die er nicht überwinden kann. Aber sehen kann man die Glocken Katharina und Martin (ladies first), wenigstens von unten. Können Sie gerne später anschauen.
Das Katharina von Bora-Haus, barrierefrei? Ja, und nein. Ja: vom Haupteingang her ebenerdig begehbar, nur da kommst du dann nicht weit, Foyer oben, Pfarrbüro, Besprechungsraum, Toiletten – der Rest sind Treppen: nach oben zur Vorempore und Orgelempore oder nach unten zum Gemeindesaal und zur Küche, ins Kellergeschoß wieder Treppe zum Teppichraum und zum Jugendraum der Pfadfinder, Heizung und weitere Kellerräume. Also nein!
Für die Gemeindesaal-Ebene gibt es über den Garteneingang einen ebenerdigen Zuweg, dessen Befestigung uns seinerzeit Frau Wagner dankenswerter Weise gestiftet hat, die selbst in ihren letzten Jahren an den Rollstuhl gebunden war. Also die wesentlichen Räume sind barrierefrei erreichbar, ansonsten nur über Treppen. Das ist im Pfarrhaus und den anderen kirchlichen Häusern auf unserem schönen Gelände nicht anders. Also ein Pfarrer im Rollstuhl käme da nicht weit, 80 Prozent des Hauses wären für ihn vom Eingang aus nicht barrierefrei erreichbar.
Wie sieht es mit dem Haus in Kapernaum in unserer heutigen biblischen Geschichte aus? Barrierefrei?
Palästinische Häuser waren ebenerdig begehbar, also barrierefrei. Das Dach ist ebenfalls über eine Treppe außen an der Rückwand oder Seittenwand zu erreichen, also nicht barrierefrei, wobei die Dächer keine Ziegeldächer waren, die man so einfach abdecken kann, wie es unsere Bibelübersetzung suggeriert, sondern es waren Bedachungen aus Holzstangen, deren Zwischenräume mit Zweigen, Schilf oder Heu ausgefüllt und überdeckt waren und mit einer Lehmschicht überzogen, so dass sie im Sommer auch dem Aufenthalt von Menschen und Tieren dienen konnten, so tragfähig und stabil waren sie! Also für die vier Freunde des Gelähmten war weniger die Treppe, über den sie ihn hochtrugen, die Barriere, sondern das Dach selbst, in das sie ein großes Loch, ja, graben mussten, um ihn dann hinunterzulassen. Das ging aber alles, haben sie geschafft! Die Hauptbarriere ist aber nicht wirklich eine bauliche in dieser Geschichte, sondern eine menschliche, die Menschen.
Jesus ist im Haus, die Menschen folgen ihm, ja die Massen strömen zu ihm – Haus mehr als voll. Keiner macht Platz für den Gelähmten, Jesus neugierig sehen und hören ist wichtiger als einem Behinderten zu helfen. Ist heute übrigens ein Vorwurf der Diakonie an die verfasste Kirche.
Der Gelähmte kann Jesus nicht zuhören, weil keine Chance reinzukommen, erhofft sich aber, von ihm geheilt zu werden, oder glauben es für ihn stellvertretend nur seine Träger (sozusagen lebende Treppenlifter):
Der unbeirrbare Glaube, das Vertrauen auf Jesus und Gottes Hilfe ist jedenfalls groß, so groß, dass sie den ungewöhnlichen, sehr kreativen Weg übers Dach nehmen. Und es klappt. Jesus lässt den Gelähmten geheilt nach Hause gehen. Für den Gelähmten waren auf einmal alle Barrieren weg – Barrierefreiheit gewonnen! Wenn er durch das dichte Gedränge denn ungehindert nach draußen und nach Hause gehen konnte!? „Steh auf, nimm dein Bett und geh.“ Unerhört!
Das für die damalige Erlebniswelt und Ohren aber viel Unerhörtere – Wunderheilungen gab´s ja öfter, Krankendämonenaustreibungen auch, und was da genau passiert ist, erfahren wir ja nicht - war eine ganz andere Barrierefreiheit, die Jesus in dieser Geschichte vom Gelähmten geschaffen hat, und zwar ein für allemal:
Die Vergebung der Sünden, die der Kranke und auch sonst keiner in dieser denkwürdigen Szene erwartet hatte. „Mein Sohn“, oder wie damals die Schüler von den Lehrern angesprochen wurden: „Kind, deine Sünden sind dir vergeben.“
Das regt vor allem seine Gegner, die Schriftgelehrten auf. Sie empfinden es als Gotteslästerung. Warum? Weil es so klingt, als würde Jesus, also ein Mensch, das tun, was nur Gott letztlich kann und darf.: Sünden vergeben. Also fromme Selbstanmaßung Jesu, Gotteslästerung! Bedeutet in der strafrechtlichen Konsequenz: Steinigung. Oder: Kreuzigung.
So war´s aber nicht, das haben seine Gegner nur nicht bemerkt, dafür war Jesus zu intelligent und raffiniert: „Deine Sünden sind dir vergeben!“, sagt er, nicht: „Ich vergebe dir deine Sünden!“ Sondern passiv: „sind vergeben“. Das nennt man Passivum divinum. Also durch die passivische Formulierung wird indirekt Gott als eigentliches Handlungssubjekt gemeint. Und das ist straffrei, wenn man es kapiert.
Das ist so ähnlich wie beim Segen in der Kirche. Da sagt der Pfarrer ja auch nicht: „Ich segne dich oder euch!“, sondern: „Sei gesegnet“, oder: „Der Herr segne euch und behüte euch“. Gott ist das Subjekt des Segens, wie auch der Vergebung, das macht auch nicht der Pfarrer, das spricht er im göttlichen Auftrag höchstens zu. Aber kein Pfarrer und keine Kirche hat das Recht und die Macht und darf sie – obwohl sie es oft in der Geschichte getan hat – sich anmaßen. Keine Selbstverwechslung mit Gott, keine Vermischung von Relativem und Absolutem.
Der „Menschensohn“, was so viel heißt wie „exemplarischer Mensch, wahrer Mensch“, Jesus hat sich so in einer seiner ersten Geschichten, die uns in den Evangelien überliefert sind, ins Gedächtnis seiner Jünger und der ersten Christen eingeprägt: Viele haben ihm zugehört, ganz wenige ihm voll vertraut. Ihnen hat er ihre Barrieren überwunden.
Liebe Gemeinde,
äußere, bauliche Barrieren lassen sich vergleichsweise leicht abbauen oder überwinden, zwischenmenschlich schon weniger, seien es mentalitätsmäßige, seien es „nur“ Sprachbarrieren. Erleben wir gerade wieder. Es sind die inneren, persönlichen, um die es Jesus letztlich ging – und die nur im Glauben und Gottvertrauen überwunden werden können. Wie macht man das?
Das ist genau der Knackpunkt an der Geschichte vom geheilten Gelähmten: Er muss nichts machen, nichts tun. Er lässt sich tragen und empfängt den Zuspruch und die Heilung, von Geist, Seele und Körper. „Ganzheitlich“, wie man heute gerne sagt. Und dann geht er nach Hause.
Amen.
Ah! Ob er gefeiert hat? Steht nichts geschrieben.
Und der Herr sei mit eurem Geiste.
Amen.