Predigt von Prädikant Peter Schickel zur Gebetswoche für die Einheit der Christen 2023
über Jesaja 1,17 „Tut Gutes, sucht das Recht“
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, tut Gutes, sucht das Recht,
aber halt, das ist ja schon die ganze Predigt.
Ich fange lieber nochmal an.
„Liebe ökumenische Gemeinde“,
nein, das trifft‘s auch nicht ganz. Jeder weiß, wir haben doch verschiedene christliche Gemeinden hier in Berg.
Ach ja, in der Zeitung wurde der Beginn dieses Gottesdienstes versehentlich eine halbe Stunde früher angegeben. Martin Luther King sagte einmal „Es ist eine der Tragödien unserer Nation, eine der beschämenden Tragödien, dass 11 Uhr am Sonntagmorgen eine Stunde der Rassentrennung ist, wenn nicht sogar die Stunde der Rassentrennung im christlichen Amerika“. Der Sonntagsgottesdienst um 11 Uhr war nach sogenannten Weißen und sogenannten Schwarzen getrennt und natürlich nach Konfessionen, sowieso! Umso mehr freue ich mich, dass Sie heute hier sind – in ökumenischer Verbundenheit – egal zu welcher Stunde.
Also, doch lieber so:
Liebe Schwestern und Brüder in Christus,
zunächst hört sich das für mich danach an, dass wir uns alle immer „furchtbar lieb“ haben müssten, wie in einer großen Familie. Aber wer mit Geschwistern aufgewachsen ist oder selber Kinder hat, der weiß: es gibt auch Unstimmigkeiten und Konkurrenz unter Geschwistern. Die Bibel ist ja auch voll davon. Man denke nur an Jakob und seine Brüder, die Schwestern Maria und Marta; Kain und Abel erwähne ich lieber erst gar nicht. Und trotzdem, liebe Gemeinde, wir sind es – Geschwister in einer Familie. Wir sind Schwestern und Brüder in Christus. Wir alle, die heute hier in dieser schönen Wallfahrtskirche zusammen gekommen sind. Wir sind hier weil wir an Jesus, den Christus glauben und für die Einheit der Christen, seiner Brüder und Schwestern im Herrn, beten wollen. Trotz aller Unterschiede und besonders wegen der vielen Gemeinsamkeiten.
Wir sind Geschwister und den eigenen Geschwistern kommt man ja nicht aus, man ist mit ihnen allzeit verbunden. Man lebt mit ihnen zusammen und nach Möglichkeit tut man auch einander Gutes – oder lernt, wenigstens Gutes zu tun beim gemeinsamen Zusammenleben und ver-sucht dabei, dass es ge-Recht für alle zugeht.
Liebe Familie in Christus, genau das sollten wir tun. Genau das sagt uns Jesaja heute mit einem Wort, das über 2700 Jahre alt ist: Tut Gutes. Sucht das Recht. (Jes 1,17)
So einfach klingt das Motto der Gebetswoche für die Einheit der Christen in diesem neuen Jahr 2023. Tut Gutes. Sucht das Recht. (Jes 1,17.) Es wurde dieses Jahr vom Rat der Kirchen im amerikanischen Minnesota ausgesucht – Päpstlich und ökumenisch zugleich.
So einfach ist das Motto auf den ersten Blick – vielleicht zu einfach – und doch anscheinend so schwer durchzuhalten. Denn unser Predigtwort ist tiefgründig. Wenn man die Lupe hervorholt und genau liest, steht da nicht einfach „Tut Gutes“, sondern „Lernt, Gutes zu tun.“ Lernt, Gutes zu tun!
Das Recht scheint aber nicht offenkundig zu sein. Also nicht einfach so da – mir nichts, dir nichts. Auch nicht einsichtig für Jedermann. Nein, das Recht muss erst gefunden werden und das braucht Zeit – hoffentlich wird es endlich mal gefunden, liebe Gemeinde. Eine große Aufgabe! Vielleicht eine Menschheitsaufgabe. Viele Ansätze wurden in der Geschichte dazu schon ausprobiert.
Der Philosoph Platon war überzeugt, das Recht sei eine Eigenschaft aus der Seele des Menschen. Verschiedene Menschen hätten deshalb auch verschiedene persönliche Haltungen zum Recht. So nach dem Motto: Alle Menschen sind zwar gleich, aber einige gleicher. Daraus ergaben sich viele Missverständnisse bis hin zum kompletten Missbrauch. Der abscheuliche Gipfel dieses falsch verstandenen Denkens ist der Schriftzug über dem Tor des Konzentrationslagers Buchenwald „Jedem das Seine“.
Platons Schüler Aristoteles war da schon weiter: Gerechtigkeit diene der Gemeinschaft. Es sei die vorzüglichste Tugend. Vor Gericht sei nur die absolute Gleichheit aller Personen möglich.
Aber trotzdem blieb die Sache mit der Gerechtigkeit immer noch schwierig. Noch im 16. Jahrhundert war Thomas Hobbes davon überzeugt, dass der Mensch ein Wolf für den Menschen sei (in seiner Bürgerlehre).
In der Aufklärung kommt dann von Rousseau und Kant die Idee des Gemeinwillens dazu: „Was Du nicht willst, das man dir tu, das füg‘ auch keinem anderen zu!“. Erstmals schien es allen klar, dass auch die Freiheit zur Gerechtigkeit dazu kommen müsse.
Diese Idee der Freiheit für den Menschen wurde bis in die heutige Zeit weiter ausgebaut. Denken Sie an Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung und das Recht auf den Schutz vor Willkür. Die ganzen Menschenrechte, eben.
Und trotzdem erleben wir immer wieder Ungerechtigkeit und Hybris allenthalben, weil alle die ersten sein wollen und sich für etwas Besseres halten. Vom Vordrängeln an der Supermarktkasse, einfach weil man‘s kann, bis hin zur schrecklichen Gewalt, wie bei George Floyd und „I can’t breathe“, „Ich kann nicht mehr atmen!“ in Amerika. Der Weg von der einseitigen Vorteilnahme bis hin zur tiefen Verachtung und tödlicher Gewalt gegenüber wehrlosen Gruppen scheint immer noch kurz zu sein.
Der Schlüssel zur Gerechtigkeit liegt vielleicht gerade in unserem Nichtwissen um die letzte Gerechtigkeit. Wer bekommt am Ende das größte Kuchenstück? Wer das Kleinste? Wer wird der erste sein, wer der letzte? Wir wissen es nicht – noch nicht. Und das ist gut so. Vielleicht schaffen wir es dadurch eher fair zu unserem Nächsten zu sein (John Rawls, Gerechtigkeit als Fairness). Nach christlichem Verständnis ist die letztgültige Gerechtigkeit ein Geheimnis. Im Evangelium haben wir es gerade von Jesus selbst gehört. Da sind alle überrascht über seine Gerichtsrede! Sowohl die Gerechten, wie die Ungerechten sind überrascht über sein Urteil:
Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und dir zu trinken gegeben? 38 Und wann haben wir dich fremd gesehen und aufgenommen oder nackt und dir Kleidung gegeben? 39 Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? 40 Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. (Mt 25,38-40)
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, lassen Sie uns also gemeinsam wie die Jünger in christlicher Demut nach dem geringsten Bruder (Mt 25,40) fragen:
Bin ich’s? (Mk 14,19).
Bin ich’s am Ende selbst?
Ich etwa, der Geringste?
Was auf Erden gerecht ist, das lässt sich anscheinend wirklich nur im gemeinsamen Gespräch herausfinden oder annähern. Dasjenige auf das sich alle Betroffenen dann in Freiheit und Demut ehrlich einigen können, das könnte doch gerecht sein, oder? (Verfahrensgerechtigkeit nach Habermas).
Liebe Brüder und Schwestern in Christus, tut Gutes, sucht das Recht,
damit habe ich begonnen, damit möchte ich auch enden.
Denn am Ende geschehe uns nach unserem Glauben.
Wir werden dann selbst sehen, was Jesus uns in der Bergpredigt verheißt, wenn er spricht:
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. (Mt 5,10)
Sehen Sie, liebe christliche Familie, wir kommen uns einander nicht aus, weder im bereits begonnenen Reich Gottes auf Erden, hier und heute, noch im Himmelreich. Selbst dort sind wir verbunden als Bruder und Schwester.
Und um das Himmelreich muss uns nicht bange sein, denn am Ende richtet nicht der Mensch, sondern Jesus Christus, unser guter Hirte.
Gott sei Dank!
Amen.