27.08.2023 - 12. Sonntag nach Trinitatis

Gottesdienst


mit Pfarrer i.R. Dr. Wolfgang Döbrich, Feldafing

um 10:00 Uhr im Katharina von Bora-Haus, Berg

Der Gottesdienst fand statt im Rahmen der Sommerpredigtreihe "Das Weite suchen". Thema der Predigt von Pfarrer Döbrich: "Auf nach Tarsis - weit weg vom Herrn!" - (Jona 1,3).

Nachstehend die Predigt zum Nachlesen.

 

„Auf nach Tarsis - weit weg vom Herrn!“ (Jona 1,3)
Predigt von Pfarrer i.R. Dr. Wolfgang Döbrich, in der Sommerpredigtreihe 2023 „Das Weite suchen“


Unsere Sommer-Predigtreihe „Das Weite suchen“ zeitigt wieder eine ganze Reihe interessanter Gottesdienste. So ging es mehrfach um biblische Personen wie Abraham und Jakob, die auszogen, um letzten Endes Gott in der Ferne zu begegnen. Das mag daran erinnern, dass heute in der Ferne und Weite spirituelle Erfahrungen gemacht werden, die zu Hause oft verdeckt bleiben. Dieser Erkenntnis versucht auch unsere Kirche gerecht zu werden. Im Landeskirchenamt gibt eine kleine Abteilung, die Berg- und andere Openair-Gottesdienste, Pilgerwege und Touristenbetreuung organisiert, um der gerade im Urlaub geweckten Spiritualität vieler Feriengäste gerecht zu werden.

Heute möchte ich einmal das entgegengesetzte Phänomen in den Blick nehmen, von dem auch in der Bibel berichtet wird. Hier gibt es eine bekannte Person, die nicht auszieht, um Gott zu suchen, sondern im Gegenteil wegläuft, um Gott zu entkommen. Die Rede ist vom Propheten Jona, von dem folgendes berichtet wird: „Es geschah das Wort des Herrn zu Jona, dem Sohn Amittais: Mache dich auf und gehe in die große Stadt Ninive und predige wieder sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen.“ Keine große Erklärung, keine Schilderung der Bosheit in Ninive, der Hauptstadt des gewaltigen Assyrerreiches. Klar ist nur, dass die Menschen dieser Stadt so nicht weiterleben können. Ihre Bosheit, ihre Lieblosigkeit, ihre Gleichgültigkeit, ihre Ungerechtigkeit – was auch immer es ist –, wird sie über kurz oder lang vernichten. Jemand muss sie aufrütteln, wecken, auf einen anderen Weg bringen. Letztlich geschieht das, um sie zu retten und am Leben zu erhalten. Es geht um Umkehr auf einem Weg, der ins Verderben führt. Gott schickt seine Boten, um Menschen aufzuwecken und ihnen andere Lebensmöglichkeiten vor Augen zu stellen.

In ihrer großen Mehrheit machten sich dann die Propheten auf und verkündeten, was sie zu sagen hatten. Manchmal erhoben sie auch Einwände, dass sie zu jung seien und nicht zu reden verstünden, und wurden schließlich überzeugt, dass sie ihren Dienst durchaus erfüllen könnten. Doch in unserer Geschichte steht nur lapidar: „Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem Herrn nach Tarsis fliehen und kam hinab nach Jafo ans Meer …“ Der auserwählte Bote Gottes entzieht sich, er will von seinem Auftrag nichts wissen. Es wird uns nicht gesagt, warum er das tut. Ist ihm der Auftrag zu unbequem, hat er etwas gegen die Leute in Ninive, fürchtet er, dass sein Auftrag nicht gehört wird, ja, dass er möglicherweise deswegen leiden muss? Er soll ja von Umkehr predigen, von Buße und Neuorientierung. Wenn es um Umkehr geht, dann hat man auch in unserer christlich geprägten Welt nicht den Eindruck, dass sie groß im Schwange ist.

Ich muss gestehen, dass ich sehr gern das Streiflicht der Süddeutschen Zeitung – den ironischen Kommentar zu Meldungen des Tages – lese. Dort ist mir einmal die Geschichte von Jona begegnet und zwar im Zusammenhang der urbanen Mythen, die in unserer entzauberten Welt aufblühen. Ich zitiere: „Eine der schönsten erzählt vom toten Mann im Taucheranzug, den südkalifornische Feuerwehrleute nach einem Waldbrand in der Krone eines verkohlten Nadelbaumes fanden. Die Legende besagt, ein Löschflugzeug habe den Taucher geschluckt, als es in einem nahen See Wasser aufnahm. Einige Kilometer weiter habe das Flugzeug seine flüssige Fracht mitsamt dem Taucher, der inzwischen einem Herzinfarkt erlegen war, über dem Waldbrand entladen.“

Der Verfasser des Streiflichts verknüpft diese Geschichte mit unserer biblischen Erzählung vom Propheten Jona, der sich dem Auftrag Gottes, nach Ninive zu gehen und dort zur Umkehr aufzurufen, durch Flucht auf ein Schiff entziehen wollte. Das Schiff war unterwegs nach Tarsis, dem antiken Tartessos in Spanien in der Gegend um Huelva – weit jenseits der Meerenge von Gibraltar –, was zweifellos der von Ninive am weitesten entfernte Ort der alten Welt sein sollte.

Ein gefährliches Ungewitter mit großem Sturm droht das Schiff zu versenken. Aber Jona lässt sich freiwillig opfern und Gott rettet ihn durch den großen Fisch, in dessen Bauch Jona zur Umkehr fand und der ihn schließlich nach drei Tagen wieder an Land spuckte. Welches Licht, fragt der Verfasser, wirft das auf den toten Taucher im Baum? Wollte er sich durch sein Tauchen einem göttlichen Auftrag entziehen? Hatte er zu wenig gebetet und Buße getan im Bauche des Löschflugzeugs? Immerhin war der Transport ja vergleichsweise kurz.

Man merkt an diesem Streiflicht, dass die wunderbaren biblischen Geschichten weiter lebendig unter uns sind – sie dienen auch Streiflichtverfassern, Kabarettisten, Autoren aller Art als Stichwortgeber und Anreger.

Natürlich können diese Schriftsteller eine solche Geschichte nicht vollständig ausdeuten. Warum zuckte der Prophet so zurück? Mehrfach wird im Jonabuch die Ungerechtigkeit und Gewalttätigkeit der Stadt Ninive betont. Vielleicht schreckte den Propheten einfach die Aussichtslosigkeit seines Auftrags. Übertragen auf heute könnte es vielleicht heißen, dass der Mann Gottes in die große Stadt Moskau ziehen sollte mit dem Auftrag, dort gegen die Grausamkeit des Krieges in der Ukraine zu predigen. Keinen würde es wundern, dass ein damit Beauftragter sich auf jede erdenkliche Weise seines Auftrags entziehen möchte.

Aber die Flucht hilft Jona nicht. Wir haben bereits gehört, wie Gott seinen Auftrag durchsetzt. Das Schiff nach Tarsis gerät in einen gewaltigen Sturm und droht zu versinken. Immerhin outet sich Jona, als die Schiffsleute nach dem Grund forschen, bekennt, dass er auf der Flucht vor Gott ist und bietet an, dass sie sich seiner entledigen sollten, indem sie ihn ins Meer werfen.

Ein erneuter Auftrag Gottes führt Jona endgültig nach Ninive, wo er der Stadt knapp und schroff den Untergang ankündigt: „Es sind noch 40 Tage, so wird Ninive untergehen.“ Völlig überraschend zeigt diese knappe Predigt Wirkung: „Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und ließen ein Fasten ausrufen und zogen alle, groß und klein, den Sack zur Buße an.“ Jona ist perplex. Er hätte der gewalttätigen Stadt die Zerstörung gewünscht. Jetzt erfahren wir auch den Grund seiner Flucht: „Ach, Herr, das ist´s ja … weshalb ich eilends nach Tarsis fliehen wollte; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen.“ Jona will demnach die Güte Gottes – an die mit diesen Worten aus dem Buch Exodus im Tempel erinnert wird – für Israel reservieren und die Heiden vom Heil ausschließen. Er hat keine Ahnung von der Größe der Liebe Gottes, die allen Menschen gilt.

Zu Tode betrübt begibt sich Jona am Rand der Stadt auf Beobachtungsstation. Er will sehen, was dieser Stadt geschieht. Aber seine Aufmerksamkeit wird abgelenkt. Gott lässt einen Rizinus wachsen, der Jona schützenden Schatten spendet – und Gott schickt einen Wurm, dessen Stich den Rizinus eingehen lässt. Jetzt ist Jona wirklich erschüttert. Kein Rizinus, kein Schatten. Die Sonne sticht auf Jonas Kopf. Jona zürnt Gott und „möchte lieber tot sein als leben“. Aber Gott will auch ihn für das Leben gewinnen und so lässt er sich auf ein theologisches Gespräch mit Jona ein: „Meinst du, dass du mit Recht zürnst um der Staude willen?“ Und er stellt ihm zum Schluss die knifflige Frage: „Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als 120.000 Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?“

Jona klagt und zürnt wegen des Rizinus, den er weder gesät noch gehegt hat, zu dem er keine Beziehung hatte – es sei denn, dass er seinen Schatten genoss. Gott aber klagt und zürnt wegen seiner Menschenkinder in der großen Stadt Ninive, um die er sich immer bemüht – nicht zuletzt durch den Propheten Jona. Welcher Gegensatz!

Dieser Jona, der zu klein von Gott denkt, begegnet uns noch einmal im Neuen Testament. Wieder geht es darum, dass die Menschen zu klein von Gott denken. Jesus bringt in seinen Reden und Taten die allumfassende Liebe Gottes zu den Menschen. Er predigt, heilt, vergibt Sünden, hat Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern. Viele lassen sich davon ansprechen und überzeugen, sie bringen ihre Kranken und an vielerlei Behinderungen Leidenden. Die Menschen drängen sich um Jesus und wollen mehr hören und sehen.

Aber sehr schnell finden sich auch seine Gegner zusammen und fragen, mit welcher Vollmacht Jesus von solch einem gnädigen Gott und Vater spreche. Sie weigern sich, von ihrem starren, unnahbaren Gottesbild abzulassen und von ihrem ausklammernden Weg umzukehren. Und da reißt Jesus einmal der Geduldsfaden. Er ruft: „Die Leute von Ninive werden auftreten beim jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden´s verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona.“ (Lukas 11,32).

Gott selbst bemüht sich in Jesus Christus um die Menschen, möchte sie öffnen für eine Umkehr von ihren unbarmherzigen und gewalttätigen Wegen. Ihn jammert das Menschengeschlecht angesichts aller Katastrophen, die es heimsuchen. Denn Gottes Liebe ist größer als unser Herz. Ihm sind die Menschen nicht egal – auch die Tiere nicht. Gott will, dass seine Schöpfung lebt und blüht, wächst und gedeiht, dass sie eine gute Zukunft hat. Gott liebt seine ganze Welt. Ob die Geschichte von Jona, ob Gottes Frage am Ende des Jona-Buches, ob die Worte und Taten und das Geschick Jesu uns und unseren Zeitgenossen die Augen dafür öffnen können?

Eins ist klar: diese Erkenntnis braucht nicht die besondere Situation von Urlaub und Ferienzeit. Sie entsteht und findet statt mitten in unserem Leben, ob im manchmal engen Alltag oder in der Weite der Ausflüge und Ferienreisen. Und wir alle sind aufgefordert, von dieser Einsicht durch unser Handeln und Reden Zeugnis abzulegen. Wir können diesem Auftrag nicht entfliehen, wie die Bibel am Beispiel des Jona zeigt. Weder durch Flucht ins Weite noch durch verdrossenes Abseitsstehen noch durch ergrimmtes Beobachten der Weltgeschichte. Wir können Gottes Güte nicht entkommen. Sie will uns in dieser „Zeit der Gnade“ – wie Karl Barth unsere Gegenwart einmal nannte – immer neu dazu auffordern, einladende Zeugen und gesprächsbereite Vermittler zu sein. Auch dann, wenn die Fronten verhärtet erscheinen, wie beispielsweise in der Frage der weltweiten Konflikte und ihrer Auswirkungen in einer zunehmenden Zahl von Flüchtlingen und in notwendiger Hilfe bei uns im Land.

Im Übrigen hat man von Gottes umfassender Güte schon zur Zeit des Alten Testaments gewusst – und wir haben es in unserem Psalm miteinander gebetet: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten… Am Ende bin ich noch immer bei dir. Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz. Und sieh ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.“ (Psalm 139,9-12)

Amen.