24.09.2023 - 16. Sonntag nach Trinitatis

Gottesdienst mit Abendmahl


mit Prädikant Peter Schickel


um 10 Uhr im Katharina von Bora-Haus
 

Nachstehend die Predigt des Gottesdienstes zum Nachlesen.

 

Evangelium: Die Auferweckung des Lazarus (Johannes 11,1(2)3,17-27(28-38a)38b-45)

Predigt von Prädikant Peter Schickel am 16. Sonntag nach Trinitatis 2023
über 3 Verse aus dem Hebräerbrief (Hebr 10, 35-36, 39)

 

I

Liebe Gemeinde,

mein Sohn Ferdinand kam kürzlich von der Klassenfahrt an den Garda-See nach Hause zurück. Sichtlich begeistert und noch ganz echauffiert erzählte er, dass die Reise wirklich der „Wahnsinn“ war. Sie hätten dort nämlich „ge-schluchtelt“. Also, Canyoning gemacht, wie das neudeutsch heißt. Dabei bewegt man sich in voller Montur, angetan mit einem Neopren-Anzug, Handschuhen und Kletterhelm in wasserdurchfluteten Schluchten treibend immer rasant abwärts. Wobei „bewegt“ ist wahrscheinlich untertrieben. Man rutscht, klettert, seilt sich ab und springt sogar bis zu 15 Meter tief ins eiskalte Bergwasser, bis man endlich am Fuße des Berges angekommen ist – hoffentlich heil. Meinem Sohn hatte das sichtlich Spaß gemacht. Und irgendwie kam er mir so vor als wäre er wieder ein Stück gewachsen.

„Du, Papa“, meinte er nach einer Weile. „Eigentlich war das Ganze ja eine Mutprobe.“ Denn, der Guide hätte ihnen ganz genau den Absprungsort gezeigt. Aber sie hätten von dort gar nicht sehen können, wie tief es nach unten ging und was da drunten überhaupt wäre. Sie seien also aufs Geratewohl gesprungen - nur auf das Zeichen des Reiseleiters hin.

„Da hast Du aber ein großes Vertrauen gehabt“, meinte ich nur und fragte mich insgeheim, warum ich die ganze Sache im Vorfeld überhaupt erlaubt hatte.

„Ja, Vertrauen schon,“, sagte er „aber dem Guide hab ich einfach geglaubt. Der ist Vollprofi. Also, Helm, Neopren-Anzug, Muskeln überall. Der hat das schon oft gemacht. Und er hat es uns auch hunderte mal erklärt, so dass es am Ende wirklich jeder gecheckt hat. Dem konnte ich blind vertrauen. Der kann was!“

„Aha“, meinte ich nur „dann ist ja alles gut, wenn der was kann.“

II

Liebe Gemeinde,

das Predigtwort für den heutigen Sonntag ist ganz kurz. Es besteht aus drei Versen im Hebräerbrief im 10 Kapitel. Aber die haben es in sich.

Hebr 10,35-36, [37-38], 39
35 Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.
36 Geduld aber habt ihr nötig, auf dass ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt.
39 Wir aber sind nicht solche, die zurückweichen und verdammt werden, sondern solche, die glauben und die Seele erretten.

Herr, für Dein Wort sei hoch gepreist.
 

Wir aber sind nicht solche, die zurückweichen…
Wir vertrauen … wir glauben…

Vertrauen und Glauben ist ja eigentlich das Gleiche (oder dasselbe, oder der Selbe?).  Vertrauen drückt vielleicht noch etwas mehr eine enge Beziehung zu jemandem aus. So richtig vertrauen kann man nur dem, den man gut kennt. Genauso, wie man dann vom Anderen gekannt wird.

„Wem vertraue ich da, eigentlich, beim Sprung in den Glauben (Kierkegaard). Wer ist mein Reiseleiter und Guide“, frage ich mich da spontan.

Für Martin Luther war das klar. Er hat uns nicht nur gedruckte Aufsätze und Schriften hinterlassen, sondern auch kleinere Gedanken - sogenannte Randglossen - in verschiedenen Bibeln seiner Freunde. Das sind kleine exegetische Schriften, (so ein Randgekritzel eigentlich) das er „mit eigener Hand (zu seinem Gedächtnis) geschrieben“ hätte (Walch, Luthers Sämtliche Schriften, Bd. IX, S. 1757). Daraus lässt sich auch 500 Jahre später noch einiges über seinem Glauben herauslesen.

Zum Beispiel beim heutigen Evangelium wundert er sich über den Glauben überhaupt und generell:

Wie ein wundergroß Ding ist’s um den Glauben [], es sei nichts ohnmächtiger und schwächer, denn [] der Glaube. Aber Gottes Weise ist es, daß er so durch Schwachheit und Thorheit seine Kraft und Weisheit beweise[].

Für Luther hatte der Glaube also etwas von der göttlichen Kraft…

III

Liebe Gemeinde,

Vertrauen kann man nur zu jemandem haben, den man kennt. Jesus kannte Lazarus und seine Schwestern recht gut. Zumindest möchte uns das der Johannes-Evangelist bezeugen – wer immer das auch war (oder ist – vielleicht einer von uns).  
Die drei Geschwister Martha, Maria und Lazarus lebten – heute würde man sagen – zusammen in einer WG. Jesus hat sie besucht und sie sprachen oft miteinander über Gott und die Welt. Sie kannten sich gut. Jesus kannte sie gut und sie waren Freunde.
Der Evangelist Johannes will uns Jesus vorstellen, damit wir auch die Chance haben, ihn kennenzulernen und sein Freund werden zu können. Er tut es nicht in Titeln, sondern in Bildern mit den Ich-bin Worten Jesu, in denen er selbst sagt, wer Jesus eigentlich ist:

Ich bin das Brot des Lebens, das Licht der Welt, die Tür zum Leben, der gute Hirte, die Auferstehung und das Leben.
Ich bin der gute Weinstock, der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Galt das nur vor zweitausend Jahren. Kann man heute noch Jesus kennen lernen – vielleicht sogar sein Freund sein?

Das ganze Johannesevangelium ist davon überzeugt, dass das heute auch noch geht. Denn nach dieser Schrift ist das ewige Leben schon Gegenwart. Es ist in der Erkenntnis Gottes schon da: Denn Jesus spricht: „Das ist das ewige Leben: dich, den einzig wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast.“ (Joh 17,3).
Die Auferstehung geschieht schon jetzt.

Damit ist die Lazarusgeschichte ein Zeichen dafür, dass Jesus in Person die Auferstehung und das Leben ist (Joh 11,25)  und ein Mensch in dem Augenblick, in dem er wie Martha an ihn, den Christus, zu glauben beginnt (Joh 11,27),  vom Tod zum Leben durchgedrungen ist (Joh 5,24f). Das ist dann  ein Auftauchen  wie nach dem Sprung ins eiskalte Bergwasser. So wie in der Taufe. Der, der an Jesus als Sohn Gottes glaubt, taucht auf, dringt durch die Späre des Todes hindurch und atmet den lebendigen Odem des Lebens ein. Er dringt zum Leben hindurch.

24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und [] ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.


IV

Und tatsächlich, der Glaube und das Leiden der beiden Frauen entfesseln eine Leidenschaft bei Jesus, die ihn anrührt. Sie fühlen gleichzeitig beides: Angst und Vertrauen zu Jesus, der retten kann. Das steht uns anderen Menschen auch im Angesicht des Todes zu. Angst zu haben und gleichzeitig Vertrauen.

Aber dann beginnt auf einmal eine Emotionalität und eine Kraft bei Jesus zu wirken, die ihn selbst mitleiden läßt. Leidenschaftlich „ergrimmt er“ gegen den Tod seines Freundes und „erbebt“, übersetzt Luther.

Joh 11,33:
Wörtlich heißt es: „Jesus […] schnaubt im Geist und erregt sich“. So wie Gott, der damals in seinem Grimm mit einem gewaltigen Schnauben die Wasserfluten teilt im Meer und das Volk Israel auf der Flucht vor dem Pharao und ganz Ägypten rettet. (2.Mose 18,7-8)

Solch eine umwälzende Kraft wird entfesselt bei Gott durch den Glauben.

Luther kannte diese Kraft. Er hat sie am eigenen Leibe gespürt. Es ist Mut. Mut zum Glauben. Mut, der im Vertrauen auf Jesus gründet. Mut zum Sein. Mut zum Sein im Hier und Jetzt.

 

V

Neben Vers 26 kritzelt Luther in die Bibel:

Joh 11,26
und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.
Glaubst du das?

Glaubst du das?

Liebe Gemeinde,

wir aber sind nicht solche, die zurückweichen… Wir werfen unser Vertrauen nicht weg.

Wir glauben…
Wir vertrauen…

Jesus, wir kennen dich. Du kannst was.
Du gibst uns Mut.
Mut zum Sein.
Hier und Jetzt.
Mut zum Leben.


Ah, dann ist ja alles gut.

So sei es, mit Gottes Hilfe.


Amen.