Predigt über Kolosser 3,12-17
am 4. Sonntag nach Ostern 2022 ("Kantate") von Pfarrer i.R. Dr. Gerhard Pfister
Liebe Gemeinde, der heutige 4. Sonntag nach Ostern heißt, wie schon gesagt, Kantate = Singt. Vor einiger Zeit brachte der Spiegel eine Titelgeschichte über das Singen mit der Überschrift „Das Jaulen der Trauerklöße. Die Deutschen verlernen das Singen“.
Auch wer den Artikel nicht gelesen hat, kann sich ungefähr vorstellen, was da drin stand: Es wird bei uns immer weniger gesungen und das hat weit reichende Auswirkungen.
Dass in Deutschland nur noch vereinzelt gesungen wird, davon können wir uns alle selbst überzeugen. Das ist eine Tatsache. Wir brauchen jetzt nicht lange darüber zu reden, warum das so ist, ob es am Fernsehen liegt oder an den Computern oder an Cds, MP3Playern, Smartphones und anderen Geräten, die uns das Selber-singen ersparen, die Tatsache selbst steht fest: Wir singen immer weniger. Und auch die Schlussfolgerung leuchtet ein. Was man nicht immer wieder tut, das verlernt man, und das Singen haben in Deutschland schon viele verlernt.
Keine gute Ausgangsbasis also, wenn wir im Gottesdienst singen wollen, heute sogar mehr als sonst, und davon etwas erwarten. Die Gefahr, dass es manchen als Jaulen der Trauerklöße empfindet, besonders wenn es durch die FFP2-Masken hindurch kommt, ist tatsächlich gegeben. Dennoch meine ich, dass wir uns gerade am Sonntag Kantate von diesen sicher weitgehend richtigen Feststellungen nicht einschüchtern lassen sollten.
So schlecht ist unser Gemeindegesang (gerade auf diesem Hintergrund) nicht. Das soll kein Eigenlob sein, aber ich staune immer wieder über den Klang und die klare Wahrnehmbarkeit der Berger oder Starnberger singenden Gemeinde, egal ob viele oder wenige da sind. Deshalb möchte ich heute auch in der Predigt ganz schlicht hinweisen auf Entdeckungen, die wir beim Singen machen können, vor allem beim gemeinsamen Singen wie hier im Gottesdienst.
Sicher, auch allein singen ist schön und wir tun es, wie vorhin gesagt, viel zu selten und vielleicht nur, wenn es wirklich kein anderer hören kann, etwa in der Badewanne oder wenn jemand allein im Auto fährt.
Wenn ich mit anderen singe, dann ereignet sich dabei noch viel mehr. Das Lied verbindet mich sehr real mit den Menschen, die neben mir und mit mir singen. Ich nehme sie wahr, auch wenn ich mir das vielleicht selten bewusst mache. Ja, das ist so, meistens nehmen wir diese Singgemeinschaft nicht so bewusst wahr, aber sie besteht!
Und es können von ihr Kräfte ausgehen. Nicht nur, dass das Singen sich gegenseitig stützt und trägt und verstärkt,. Dass da andere weitersingen, wenn ich unsicher werde oder mir der Atem ausgeht. Sondern ermutigende Kräfte überhaupt, die aus der im Singen unbewusst oder bewusst erfahrenen Gemeinschaft kommen, aus der Gemeinschaft mit der Gemeinde und durch sie hindurch mit Gott. Es sind Kräfte, die sich deutlich spürbar auswirken.
Solche Erfahrungen stehen auch hinter dem Abschnitt aus dem Kolosserbrief, der uns in diesem Jahr zum Sonntag Kantate als Predigttext vorgegeben ist.
Lesung Kolosser 3,12-17 aus der Basisbibel:
Gott hat euch als seine Heiligen erwählt, denen er seine Liebe schenkt. Darum legt nun das neue Gewand an. Es besteht aus herzlichem Erbarmen, Güte, Freundlichkeit, und Geduld. Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorwirft, so wie der Herr euch vergeben hat.Vor allem aber bekleidet euch mit der Liebe. Sie ist das Band, das euch zu vollkommener Einheit zusammen schließt. Und deer Friede, den Christus schenkt, lenke eure Herzen. Dazu seid ihr berufen als glieder des einen Leibes und dafür sollt ihr dankbar sein….
Singt Gott aus vollem herzen Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder. Denn er hat euch Gnade geschenkt. Alles, was ihr sagt und tut, soll im Namen des Herrn Jesus geschehen. Dankt dabei Gott, dem Vater, durch ihn.
Liebe Gemeinde, Gott hat euch als seine Heiligen und Geliebten erwählt. Als gesprochenes Wort klingt das sehr vollmundig und pathetisch. Aber im Gottesdienst, gerade beim Singen, da ist es eine eher beiläufige Erfahrung:
Da sind Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen, unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen, und sie singen zusammen. Und ich singe mit ihnen zusammen.
Da steht etwas dahinter, was mehr ist als mein Entschluss, heute zum Gottesdienst zu kommen. Da steht etwas dahinter, was uns zusammenschließt zur Singgemeinschaft, die wir nicht als Einzelpersonen selbst gemacht haben, sondern wo ich einfach mit hineingenommen bin und das auch spüren kann, hineingenommen zu den Heiligen und Geliebten Gottes. Und das sind nicht etwa Menschen, die sich in einer besonderen Weise dafür qualifiziert haben, keine heiligen Supermenschen, die vor Nächstenliebe überfließen. Sondern wo es oft genug schwierig ist, dass einer den Anderen erträgt mit seinen Ansichten und Eigenarten.
Der Apostel bleibt da in seinem Brief an die Gemeinde in Kolossae durchaus auf dem Boden der Tatsachen. Wir haben es gerade gehört, das war damals schon nötig und heute natürlich genauso: Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander.
Also alles andere als eine abgeschottete heile Welt. In der durchaus nicht immer heilen Gemeinde, im Singen machen wir Erfahrung einer tragenden Gemeinschaft in einer Welt, wo vieles aus den Fugen gerät, ja wo getötet und gefoltert wird. Dabei bleibt diese Welt bei der singenden Gemeinde keineswegs außen vor. Schon die ältesten gottesdienstlichen Lieder, die Psalmen, zeigen uns, dass die Schrecken der Welt und die Opfer immer mit dabei sind.
Einen Psalm haben wir zu Beginn diesen Gottesdiensts singend gebetet, jetzt singen wir 2 Strophen des Liedes „Dass du mich einstimmen lässt… (580,1-2)“
Refr.: Dass du mich einstimmen lässt in deinen Jubel, o Herr, deiner Engel und himmlischen Heere,
das erhebt meine Seele zu dir, o mein Gott; großer König, Lob sei dir und Ehre!
1. Herr, du kennst meinen Weg, und du ebnest die Bahn, und du führst mich den Weg durch die Wüste.
Refr.: Dass du mich einstimmen lässt in deinen Jubel, o Herr, deiner Engel und himmlischen Heere,
das erhebt meine Seele zu dir, o mein Gott; großer König, Lob sei dir und Ehre!
2. Herr, du reichst mir das Brot, und du reichst mir den Wein und du bleibst selbst, Herr, mein Begleiter.
Refr.: Dass du mich einstimmen lässt in deinen Jubel, o Herr, deiner Engel und himmlischen Heere,
das erhebt meine Seele zu dir, o mein Gott; großer König, Lob sei dir und Ehre!
Dass du mich einstimmen lässt in deinen Jubel, o Herr, deiner Engel und himmlischen Heere: Die Gemeinschaft, in die wir einstimmen, in die wir im Singen hineingenommen werden, umfasst viel mehr als nur die heute Anwesenden. Christen haben das immer gewusst, zu allen Zeiten, im Osten noch mehr als im Westen.
Für uns in Berg im Mai 2022 ist es vielleicht ein ungewohnter Gedanke, aber so viel lässt sich auch für uns im Gottesdienst, im gemeinsamen Singen erfahren: Mehr als bloße Worte es vermögen, bekommen wir eine Ahnung von dem Geheimnis und der Kraft des Glaubens, vom Sieg des Lebens über den Tod, vom Ostergeschehen. Der heutige Sonntag Kantate ist ja der vierte Sonntag der Osterzeit. Wir kommen von Ostern her, auch heute am Sonntag Kantate feiern wir Ostern, sogar auf ganz besondere Weise, nämlich singend. Wir dürfen einstimmen in das österliche Siegeslied des auferstandenen Christus, in den himmlischen Jubel.
Und wenn wir das tun, wenn wir einstimmen und mit unserer ganzen Lebendigkeit mitsingen, wird auch unser Leben neu, von einer neuen Qualität erfüllt, denn wir werden am Sieg des Lebens über den Tod beteiligt. Das Geheimnis des Glaubens, der österliche Sieg des Lebens über den Tod, kommt uns nahe als spürbare Krafterfahrung, nicht als abstraktes Gedankenkonstrukt oder gar als Geheimwissenschaft oder rechthaberische Absonderlichkeit.
Und wir ahnen es wohl, dass durch diese Kraft auch unser Leben gelingen und zum Fest werden kann.
Deshalb: Kantate! Singt! Auf das Singen kommt es an, nicht auf das Darüber-Reden. Auch eine Predigt wie meine heute ist deshalb nur eine ganz schwache Hilfskonstruktion.
Kantate, das heißt: Singt! Probieren wir es aus, probieren geht über studieren.
Amen