31.12.2023 - Altjahresabend / Silvester

Altjahresabend 2023 - Segen
Bildrechte ev. KG Berg

Gottesdienst mit Abendmahl

um 18 Uhr in der Kath. Pfarrkirche Aufkirchen

mit Pfarrer Johannes Habdank

 

Nachstehend die Predigt des Gottesdienstes zum Nachlesen.

 

 


Predigt von Pfarrer Johannes Habdank am Altjahresabend 2023 in der Pfarrkirche Aufkirchen

 

Liebe Gemeinde,

Søren Kierkegaard (19. Jahrhundert, erste Hälfte), dänischer Philosoph, Theologe und Schriftsteller, hat unter dem Titel „Entweder / Oder. Ein Ekstatischer Vortrag“ unter anderem das weise Bekenntnis formuliert:

„Heirate / du wirst es bereuen; heirate nicht / du wirst es auch bereuen; heirate oder heirate nicht / du wirst beides bereuen. … Lache über die Torheit der Welt / du wirst es bereuen; weine darüber / du wirst es auch bereuen; lache oder weine über die Torheit der Welt / du wirst beides bereuen. … Traue einem Mädchen / du wirst es bereuen; traue ihr nicht / du wirst es auch bereuen; trau ihr oder trau ihr nicht / du wirst beides bereuen … ; Hänge dich / du wirst es bereuen; hänge dich nicht / du wirst es auch bereuen; häng' dich oder häng' dich nicht / du wirst beides bereuen. … Dies, meine Herren, ist der Inbegriff der Lebensweisheit.“

Also, liebe Christenmenschen: Egal, was man tut, man macht es falsch, es ist nie vollkommen, richtig oder zufriedenstellend, sondern trägt immer das Gegenteil seiner selbst als relativierende Alternative in sich, die aber genauso unzulänglich ist. Das Leben ist zutiefst ambivalent und in sich unaufhebbar widersprüchlich.

Und das kann jeder, der selbstkritisch über sein Leben und das der anderen nachdenkt, insbesondere heute angesichts des zu Ende gehenden Jahres anhand eigener Beispiele bestätigen. Immer wieder geht es einem so, dass man´s, wie man´s auch macht, falsch macht oder  doch nicht ganz recht macht. Und fairer Weise muss man das den anderen in Familie, Freundeskreis oder beruflichem Umfeld auch genauso zugestehen. Besonders weh tut diese Einsicht, wenn es um Trauerfälle geht und jemand über den Tod des Verstorbenen hinaus ein schlechtes Gewissen hat, weil man ihm etwas schuldig geblieben ist oder das zumindest meint, oder weil der andere einem etwas schuldig geblieben ist, zu wenig Liebe und Vertrauen im Leben. Das ist jetzt nicht mehr zu ändern oder wieder gut zu machen, da bleibt nur eins: „Hänge dich, und du wirst es bereuen“?

Nein, im Falle des Suizids stößt die dialektische Rhetorik Kierkegaards an ihre Grenzen – und es zeigt sich: da bleibt nur die Bitte um Vergebung bzw. die nachträgliche Vergebung dem Gestorbenen gegenüber, der dir etwas schuldig geblieben ist.

Der lebensweisheitliche Text von Kierkegaard erinnert mich an klassische Weisheitsgedanken aus dem Alten Testament, die zu den einschlägigen für den Altjahrsabend zählen, Sie haben sie bestimmt schon einmal gehört. Sie stammen aus dem Buch Prediger.

Da artikuliert sich eine skeptische Weisheit, die das Leben sehr kritisch sieht, die sozialen Beziehungen, die Herrschaftsverhältnisse: es werden Ungerechtigkeiten benannt, die Lebensbedeutung von Wohlstand, auch selbst erarbeitetem, wird angesichts der Vergänglichkeit alles Seins in Frage gestellt. Und es wird die Nichtigkeit alles Lebens betont, was dann fast schon nihilistisch anmutet: Das Leben ist kurz, Todestag und Trauer sind wichtiger als Geburt und Freude über das Leben, alles ist Windhauch und vergänglich, alles ist leer, hohl, eitel – „Vanitas“! Ein Motiv, das, biblisch inspiriert, im Barock wieder aufgegriffen wurde.

„Weise“ soll der werden, der sich an die Gebote Gottes, an die Regeln des Lebens hält, wie sie sich aus Erfahrung ergeben, – machen wir alle dauernd -, vielleicht auch gerade angesichts der Vergänglichkeit des Lebens, um etwas zu haben, woran du dich festhalten kannst, was dem Leben eine Richtung gibt. Weisheit, zurückgebunden in Gott, Weisheit, die um ihre Grenzen weiß, aber doch auch Lebensorientierung gibt.

Dazu gehört auch der Aufruf zur Freude trotz der Eitelkeit des Lebens, solange du lebst! Klingt sehr modern, und ist für den kritischen oder auch milden Rückblick auf das eigene Leben 2023 und in der Vorschau auf 2024 bestens geeignet!

Diese klassisch gewordenen Worte aus Prediger, Kapitel 3 lauten unter der Überschrift „Alles hat seine Zeit“:

„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit. Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.
Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes. Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazu tun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll. Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist.“


Das alles heißt ja, dass jeder Mensch eigentlich zumindest eine Ahnung hat oder haben muss von Gott. Über alle zeitliche Veränderung und, was alles wann seine Zeit hat, hat der Mensch ein Ewigkeitsbewusstsein eingepflanzt bekommen. Jeder Mensch, auch der Atheist, auch wenn er sich negativ auf Gott und das Ewige bezieht, letzte Werte: die sind ja dann dein Gott, hat jeder.

Und insofern geht es bei jedem um die persönliche Rückbindung an etwas Höheres, als wir alle es sind, und seien es „nur“ letzte, höchste Werte. An irgendein letztes Absolutes oder Ewiges glaubt jeder, ob er es wissen will oder nicht, ob er es wahrhaben will oder nicht. Und da stimmt dann selbst für den Atheisten, dass dem Menschen, wie es in dem Prediger-Text heißt: die Ewigkeit ins Herz gelegt ist; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. Wir leben zwar von Gottes Werk, dass er uns geschaffen hat und seinen Sinn und Geist in uns gelegt hat, aber wir sind uns nicht gerade immer dessen bewusst und durchschauen das alles auch nicht wirklich. Gottes Wege mit seiner Welt und mit uns sind unerforschlich. Das haben wir in der Welt und jeder für sich auch dieses Jahr, manche schmerzlich, erlebt. Und dennoch sollen wir Vertrauen haben in Gott und in unser Leben?

Wir machen etwa die uns rätselhafte Erfahrung, dass es keine Regel gibt, warum wer nach welchem Leben und in welchem Alter auch dieses Jahr wieder gestorben ist. Ob es ein kleines Kind ist, das plötzlich stirbt, ein junger Mensch bei einem Unfall ums Leben kommt, ein erfolgreicher Manager plötzlich nach nur zwei Jahren Ruhestand innerhalb eines Jahres an einer schweren Krankheit aus dem Leben scheiden muss, eine uralte Frau, die sich seit Jahren gewünscht hat, zu sterben, erst mit über 100 sterben durfte. Manche wollen 100 werden, andere lieber nicht, kommt darauf an, unter welchen Umständen. Es ist nicht durchschaubar! Und dennoch sollen wir glauben, dass jedes dieser Leben mit seinem Tod zu seiner Zeit seinen Sinn hatte und auch die jungen Leben, die früh beendet waren, vollständige Leben, in sich abgeschlossene Leben waren? Da kannst du nur ins Unbekannte und Ungewisse hinein vertrauen, dass unser Leben bei einem Höheren, als wir alle es sind, gut aufgehoben ist, dass es am Ende, wann auch immer es ist, gut sein wird. Und das gilt für den Rückblick, welchen Sinn das alles gehabt haben könnte, und genauso aber in der Vorschau.

„Er (also Gott) hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.“ (Prediger 3, Vers 11)

So ist es: wir können ihm nur glauben. Und hoffen, dass nicht nur an der Wende von einem Jahr zum andern, sondern jeden Tag und jede Nacht unsere Endlichkeit in seiner Ewigkeit aufgehoben ist, der Ewigkeit, die nicht erst „am Sankt-Nimmerleinstag“ eintritt – das wäre eine „schlechte Ewigkeit“, die eine bloße Verlängerung der Zeit wäre –, sondern uns im Leben bereits jetzt umfängt, und die er in uns alle und alle Zeit gelegt hat, zumindest anfänglich und keimhaft, und sei es nur in Form der Ahnung der Ewigkeit. Worin wir mit ihm verbunden sind. Das wäre Weisheit im Sinne der Bibel.

Liebe Gemeinde, mit dem zu Ende gehenden Jahr bzw. im Rückblick darauf hat sich wieder etwas mehr Zeit für jeden von uns ergeben, in der sich so etwas wie „Weisheit“ entwickeln konnte oder hätte können, durch viele neue Erfahrungen, oder war es doch wieder „letztlich immer nur dasselbe“? Sinnen Sie dem nach, man kommt so selten dazu - es ist nie zu spät! Weisheit zu erwerben ist ein Prozess, der nie ganz abgeschlossen ist.

Doch: ein sichtbares körperliches Indiz - ein Zeichen für Weisheit und Gerechtigkeit scheint es zu geben, dass man zumindest auf einem guten Weg ist zur Lebens- und Glaubensweisheit, laut Sprüche 16: „Graue Haare sind eine Krone der Ehre; auf dem Weg der Gerechtigkeit (und Weisheit) wird sie gefunden.“ Insofern ist jedes graue Haar, das einem wieder gewachsen ist (oder auch schon wieder verloren gegangen) als Zeichen von Weisheit dankbar wahrzunehmen und entsprechend zu pflegen, also die Haare der Lebenserfahrung, die schon Bestandsschutz genießen, und die mehr oder weniger neuen - dann im Neuen Jahr!

Amen.