Predigt von Pfarrer Johannes Habdank am 2. Advent (Einführung des neuen Kirchenvorstands)
Predigttext: 4. Mose 11 - Das Murren des Volkes
1 Und das Volk wehklagte vor den Ohren des HERRN, dass es ihm schlecht gehe. Und als es der HERR hörte, entbrannte sein Zorn, und das Feuer des HERRN loderte auf unter ihnen und fraß am Rande des Lagers. 2 Da schrie das Volk zu Mose, und Mose bat den HERRN; da verschwand das Feuer. 3 Und man nannte die Stätte Tabera, weil hier das Feuer des HERRN unter ihnen aufgelodert war. 4 Das fremde Volk aber unter ihnen war lüstern geworden. Da fingen auch die Israeliten wieder an zu weinen und sprachen: Wer wird uns Fleisch zu essen geben? 5 Wir denken an die Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, und an die Kürbisse, die Melonen, den Lauch, die Zwiebeln und den Knoblauch. 6 Nun aber ist unsere Seele matt, denn unsere Augen sehen nichts als das Manna. 7 Es war aber das Manna wie Koriandersamen und anzusehen wie Bedolachharz. 8 Und das Volk lief hin und her und sammelte und zerrieb es mit Mühlen oder zerstieß es in Mörsern und kochte es in Töpfen und machte sich Kuchen daraus; und es hatte einen Geschmack wie Ölkuchen. 9 Und wenn bei Nacht der Tau über das Lager fiel, so fiel das Manna mit darauf. 10 Als nun Mose das Volk weinen hörte, alle Geschlechter miteinander, einen jeden in der Tür seines Zeltes, da entbrannte der Zorn des HERRN sehr. Und auch Mose verdross es. 11 Und Mose sprach zu dem HERRN: Warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volks auf mich legst? 12 Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast? 13 Woher soll ich Fleisch nehmen, um es all diesem Volk zu geben? Sie weinen vor mir und sprechen: Gib uns Fleisch zu essen. 14 Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. 15 Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss. 16 Und der HERR sprach zu Mose: Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, 17 so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst. 18 Und zum Volk sollst du sagen: Heiligt euch für morgen, so sollt ihr Fleisch zu essen haben; denn euer Weinen ist vor die Ohren des HERRN gekommen, die ihr sprecht: »Wer gibt uns Fleisch zu essen? Denn es ging uns gut in Ägypten.« Darum wird euch der HERR Fleisch zu essen geben, 19 nicht nur einen Tag, nicht zwei, nicht fünf, nicht zehn, nicht zwanzig Tage lang, 20 sondern einen Monat lang, bis ihr’s nicht mehr riechen könnt und es euch zum Ekel wird, weil ihr den HERRN verworfen habt, der unter euch ist, und weil ihr vor ihm geweint und gesagt habt: Warum sind wir aus Ägypten gegangen? 21 Und Mose sprach: Sechshunderttausend Mann Fußvolk sind es, mit denen ich lebe, und du sprichst: Ich will ihnen Fleisch geben, dass sie einen Monat lang zu essen haben. 22 Kann man so viele Schafe und Rinder schlachten, dass es für sie genug sei? Oder kann man alle Fische des Meeres einfangen, dass es für sie genug sei? 23 Der HERR aber sprach zu Mose: Ist denn die Hand des HERRN zu kurz? Aber du sollst jetzt sehen, ob sich mein Wort an dir erfüllt oder nicht. 24 Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des HERRN und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte. 25 Da kam der HERR hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf. 26 Es waren aber noch zwei Männer im Lager geblieben; der eine hieß Eldad, der andere Medad. Und der Geist kam über sie, denn sie waren auch aufgeschrieben, jedoch nicht hinausgegangen zu der Stiftshütte, und sie gerieten in Verzückung im Lager. 27 Da lief ein junger Mann hin und sagte es Mose und sprach: Eldad und Medad sind in Verzückung im Lager. 28 Da antwortete Josua, der Sohn Nuns, der dem Mose diente von seiner Jugend an, und sprach: Mose, mein Herr, wehre ihnen! 29 Aber Mose sprach zu ihm: Eiferst du um meinetwillen? Wollte Gott, dass alle im Volk des HERRN Propheten wären und der HERR seinen Geist über sie kommen ließe! 30 Darauf kehrte Mose zum Lager zurück mit den Ältesten Israels. 31 Da erhob sich ein Wind, vom HERRN gesandt, und ließ Wachteln kommen vom Meer und ließ sie auf das Lager fallen, eine Tagereise weit rings um das Lager, zwei Ellen hoch auf der Erde. 32 Da machte sich das Volk auf und sammelte Wachteln diesen ganzen Tag und die ganze Nacht und den andern ganzen Tag; und wer am wenigsten sammelte, der sammelte hundert Scheffel. Und sie breiteten sie rings um das Lager aus. 33 Als aber das Fleisch noch zwischen ihren Zähnen war und ehe es ganz aufgebraucht war, da entbrannte der Zorn des HERRN gegen das Volk, und er schlug sie mit einer sehr großen Plage. 34 Daher heißt die Stätte »Lustgräber«, weil man dort das lüsterne Volk begrub. 35 Von den »Lustgräbern« aber zog das Volk weiter nach Hazerot, und sie blieben in Hazerot.
Predigt:
Liebe Gemeinde,
der Predigttext für diesen Gottesdienst steht geschrieben im 4. Buch Mose, Kapitel 11. Um ihn einordnen zu können, muss man sich seinen Kontext vergegenwärtigen: Da ist die Situation auf dem Weg aus Ägypten ins gelobte Land durch die Wüste nicht zum ersten Mal die, dass das Volk Israel unzufrieden ist, „murrt“, wie es heißt, gegen seinen Anführer Mose aufbegehrt und klagt, wie schlecht es ihm, diesem armen Volk, jetzt gehe, und verklärend bejammert, wie schön es doch in Ägyptenland in der Sklaverei dereinst gewesen sei.
Das als Hintergrund, nun die biblische Geschichte selbst:
„Als nun Mose das Volk weinen hörte, alle Geschlechter miteinander, einen jeden in der Tür seines Zeltes, da entbrannte der Zorn des Herrn sehr. Und auch Mose verdross es. Und Mose sprach zu dem Herrn: Warum bekümmerst du deinen Knecht? Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volks auf mich legst? Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Vätern zugeschworen hast? Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss. Und der Herr sprach zu Mose: Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst. Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des Herrn und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte. Da kam der Herr hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.“
Liebe Gemeinde,
das ist schon eine besondere Geistverleihungsgeschichte an Amtsträger, wobei es da natürlich noch nicht um den christlichen Heiligen Geist geht, sondern um den Geist Gottes, wie er 1000 Jahre vorher gewirkt haben soll. Mose hatte sich bei seiner Berufung am Horeb - Geschichte vom brennenden Dornbusch - ursprünglich gegen den Auftrag verwahrt und gewehrt, das Volk aus Ägyptenland zu führen. Um dann doch demütig nachzugeben gegenüber Gott. Freiwillig hatte Mose das Amt, diese schwere Aufgabe also nicht übernommen. Und jetzt - in unserer heutigen Bibelgeschichte - ist mal wieder der Punkt erreicht, wo es ihm reicht, und zwar endgültig, wie es scheint. Er ist am Ende seiner Kräfte. Er kann und mag nicht mehr: „Ich kann das nicht mehr alleine machen, das ist zu schwer für mich.“ Er fühlt sich von Gott mit diesem Volk zu schwer belastet. Und fragt Gott sogar: Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass ich es wie mein Kind auf meinen Armen dahintragen soll, zum verheißenen Ziel?
Nebenbemerkung: Es ist eine der wenigen Stellen im Alten Testament, die die Vorstellung impliziert, dass Gott selbst sein Volk wie eine Mutter geboren hat oder wie eine Amme ihr Kind tragen soll. Entsprechend meint Mose: Das ist doch nicht mein Kind, Du, Gott, bist die wahre Mutter. Das ist doch nicht „mein Baby“, sondern deines!
An anderer Stelle heißt es, Jesaja 66, 13: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet, spricht der Herr.
Mose ist momentan untröstlich, er will lieber tot sein und spricht zu Gott: Wenn Du mich nicht entlastest, so lasse mich lieber sterben, bevor ich tot unglücklich weiter leben muss. Mose sieht schwarz für sich. So dass manch moderner Ausleger diese Stelle so interpretiert, dass Mose einen Burn-out gehabt habe. Nichts ging mehr. Und doch ging´s weiter, als nichts mehr zu gehen schien. Wie?
Wie´s bei Mose weiterging, haben wir gehört: die Last wurde verteilt von einem Einzelführer auf mehrere Führungspersönlichkeiten, auf viele – die Zahl 70 steht für eine hohe Zahl. Wobei 70 immer noch relativ wenig sind im Vergleich zu den im Kontext genannten 600.000 Mann aus dem Volk, plus Familien, Schafen und vielen anderen Rindviechern!
Immerhin wird auf diese 70 Ältesten und Amtsmänner, wie es heißt, vom Geist des Mose etwas übertragen. Und zwar ist die konkrete Vorstellung ganz archaisch die, dass Gott von dem Geist, der auf Mose ruhte, nahm und auf die Ältesten legte. Göttliche Geistumverteilung und Delegation von Verantwortung. Und weil diese Geschichte in der Tradition eines bestimmten Mose-Bildes steht, nämlich Mose als Prophet zu würdigen, ist es in der Wirkung denn auch so, dass die Ältesten in prophetische Verzückung geraten, was von Mose, situativ bedingt, nicht gesagt ist. Er gilt im folgenden Kapitel als ein sehr demütiger Mensch, mehr als alle Menschen auf Erden. Die Welle der prophetischen Verzückung hat sich denn wohl auch bei den Ältesten bald wieder gelegt. Denn in einer der nächsten Geschichten werden Älteste, von jedem Stamm einer, als Kundschafter ins Land Kanaan vorausgesandt. Es ging dann um die Eroberung des Heiligen Landes.
Liebe Gemeinde, sei es in einem Unternehmen, sei es in einem Verein oder auch in unserer Kirchengemeinde - da ist es besonders schön zu sehen:
Wir haben bereits diese entlastende institutionelle Struktur. Der Pfarrer muss nicht alles selber machen, es gibt die Kirchenvorstandsmitglieder, die woanders in Deutschland Presbyter oder Älteste genannt werden, diverse Ausschüsse und viele weitere Ehrenamtliche, zum Glück sehr viele, die sich an vielen Stellen zum Wohl des Ganzen engagieren.
Schon das frühe Christentum hat sehr bald sich auch Strukturen in Form von Ämtern gegeben, jeder nach den jeweiligen Geistesgaben. Weil es gar nicht anders geht. Wenn Alfred Loisy, ein französischer katholischer Theologe, der als Modernist lehramtlich verurteilt wurde, vor ca. 100 Jahren gesagt hat: „Jesus verkündigte das Reich Gottes, was kam, war die Kirche!“ … - dann meinte er das positiv: es mussten Strukturen und Institutionen, Ämter entwickelt werden, sonst wäre das Christentum bald wieder in der Versenkung verschwunden. Denn nur vom Geist kann keine Gemeinschaft leben. Der Geist muss Formen annehmen. Die wiederum dürfen aber nicht zu starr sein, sondern müssen dem Gemeinschaftsleben dienen, also auch veränderbar sein, anpassungsfähig oder ersetzbar durch neue. Das ist heute die Aufgabe nicht nur des Pfarrers, sondern aller anderen auch: diese Spannung zwischen dem Geist, dem Charisma, und der Institution mit ihren Regeln, Funktionen, Ämtern und Formen in Balance zu halten und immer wieder produktiv weiter zu entwickeln, aus dem Geist des christlichen Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, darum geht es heute! Immer wieder einmal kritisch zu prüfen, ist denn das so noch in Ordnung, was wir tun und wie wir es machen, und gegebenenfalls neu gestalten. Wie Paul Tillich das protestantische Prinzip gekennzeichnet hat: Kritik und Gestaltung. Unser protestantisches Kirchenverständnis ist wesentlich ein selbstkritisches und Gestalterisches. Da wird nicht der Geist in der Institution „eingedampft“ und durch sie lahmgelegt, oder auch autoritär kirchlich domestiziert, sondern der Geist bleibt die treibende Kraft, die Gemeinschaftsleben immer wieder neu schafft und gestaltet. Und ob das auf den vorgeordneten Dekanats- und landeskirchlichen Ebenen unserer Gemeinde so ist, das muss uns hier nicht so sehr interessieren, denn: Kirche ist primär Gemeinde vor Ort. Das sind wir. Bleiben wir beweglich! Und halten wir das Spannungsverhältnis von Geist / Ideen einerseits und Institution aufrecht. Nützen wir das Institutionelle, die Regeln und Spielregeln bei uns in unserer Gemeinde in ihrer Entlastungsfunktion, damit wir nicht jedes Mal neu nachdenken müssen, wie man etwas tut und macht, hinterfragen wir aber auch unsere Gewohnheiten, Traditionen und Regeln immer wieder neu, ob sie wirklich dem sich verändernden Gemeindeleben dienlich sind, heute und in Zukunft. Damit das Althergebrachte nicht zur Belastung wird für eine lebendige Gemeinde, sondern sinnhaft verstehbar bleibt oder eben abgeschafft wird, sofern es neue, bessere Formen gibt, die wir mit neuem Leben füllen können!
Das ist nicht nur eine Aufgabe für den neuen Kirchenvorstand und mich, sondern auch aller Gemeindeglieder und Teilnehmer am Leben unserer Gemeinde, damit wir eine je aktuell glaubwürdige Gemeinde sind und bleiben. Die Mitwirkung jedes Einzelnen ist gefragt, kritisch und gestalterisch. Und dazu ist es elementar wichtig, dass wir nicht nur wissen, wie es nicht geht - das weiß man in der Regel ja oft schon im Privatleben sehr gut -, sondern: wie es besser gehen kann. Realistische Perspektiven und Vorschläge dafür sind jederzeit gefragt, ob in der Jugendarbeit, im sozialen Vorort-, Asyl- oder anderweitigen Entwicklungshilfe-Engagement, im Kultur- und Bildungsbereich oder beim gottesdienstlichen Leben, da ist da oder dort noch mehr modern Vermittlungsfähiges gefragt! Arbeiten wir daran, tun wir etwas dafür, so gut wir können! Pfarrer, KV, Ehrenamtliche und alle, die an diesem offenen Gemeindeleben teilnehmen!
Herr, und so bitten wir dich, schenke und erhalte uns deinen Geist für uns und für unsere Gemeinde und darüber hinaus für die vielen, mit denen wir verbunden sind und die wir neu gewinnen wollen.
Amen.
Und der Herr sei mit unserem Geiste. Amen.